Angebunden, geschlagen ... TV-Tipp für den 11.04.2011

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Angebunden, geschlagen ... TV-Tipp für den 11.04.2011

Beitrag von WernerSchell » 11.04.2011, 17:37

Angebunden, geschlagen und mit Medikamenten ruhiggestellt Tausende Babies bis in die 70er Jahre in deutschen Heimen misshandelt
"Report Mainz", 11. April 2011, 21.45 Uhr im Ersten


Mainz (ots) - In Säuglingsheimen von Caritas und Diakonie wurden zwischen 1949 und 1975 tausende Babies durch Anbinden und Schläge misshandelt. Das berichtet das ARD-Politikmagazin "Report Mainz" am heutigen Montag, 11.4.2011 um 21.45 Uhr im Ersten. Katholische Nonnen und Diakonissen vernachlässigten die Kinder, weil die Heime häufig überbelegt waren. Oft musste eine einzige, nicht ausgebildete Helferin alleine zehn Säuglinge versorgen.

Der Sozialpädagoge Prof. Manfred Kappeler erklärt in "Report Mainz": "Bekannt ist, dass Kinder die unruhig waren, festgebunden wurden. Die Hände, die Arme, die Beine wurden an die Gitterstäbe der Betten angebunden und es wurden unruhige Kinder auch mit Medikamenten ruhig gestellt, mit sedierenden Medikamenten, völlig ohne Problembewusstsein. Hauptsache sie waren ruhig." Laut Prof. Kappeler sei dies generelle Praxis in den Einrichtungen gewesen. Prof. Kappeler, der als Sachverständiger den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags zum Thema Heimerziehung beraten hat, schätzt, dass in den Säuglingsheimen der Bundesrepublik 260.000 Kinder im Alter von 0 bis 3 Jahren untergebracht waren. 1967 existierten 333 Säuglingsheime in der Bundesrepublik Deutschland. Die Kirchen, die zumeist Träger der Einrichtungen waren, betonen, sie hätten sich bereits mit dem Thema "Heimerziehung" beschäftigt. Säuglingsheime seien, so die EKD, ein "spezieller Aspekt", zu dem keine "separate Stellungnahme" abgegeben werde.

Mehrere wissenschaftliche Untersuchungen, die "Report Mainz" vorliegen, belegen, dass Kinder die länger als sechs Monate in den Heimen untergebracht waren, häufig in ihrer sprachlichen, sozialen und motorischen Entwicklung zurückblieben. Viele wurden aufgrund der fehlenden Zuwendung im Heim hospitalisiert, stumpften ab und wiesen Stereotypien auf. Wissenschaftliche Filmaufnahmen aus den 60er Jahren, die "Report Mainz" ausstrahlt, zeigen Kinder in Säuglingsheimen, die apathisch wirken und permanent mit den Köpfen wippen. Fotos aus deutschen Säuglingsheimen der 50er und 60er Jahre, die "Report Mainz" vorliegen, zeigen festgebundene Kinder, sowie Babies unter einer Höhensonne. Die Kinder wurden zum Beispiel im Säuglingsheim Schorndorf bei Stuttgart mit UV-Licht bestrahlt, weil sie aus Zeitgründen fast nie nach draußen kamen.

Marianne Döring, die in den 60er Jahren als Mitarbeiterin in drei Säuglingsheimen Babies versorgt hatte, führt im Interview aus: "Das war so schlimm, da hab ich erlebt, wie diese Kinder zum Beispiel auf die Töpfe gesetzt wurden, festgebunden wurden und sie saßen da teilweise eine Stunde. Und dann wurde immer in großen Abständen geschaut, ob da was im Topf war. Und wenn nichts drin war, wurden die Kinder richtig beschimpft und die Kolleginnen, die da neben mir arbeiteten, die schlugen den Kindern dann auch mit einem nassen Waschlappen oder mit einer Windel oder mit irgendwas, was da gerade in der Nähe lag, einfach ins Gesicht."

Zitate gegen Quellenangabe frei.

Bei Fragen wenden Sie sich bitte an "Report Mainz", Tel.: 06131/929-3351.

Quelle: Pressemitteilung vom 11.04.2011
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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Klärung und ethische Bewertung - Medikamente und Heimerziehung

Beitrag von WernerSchell » 28.08.2020, 14:49

Ruhr-Universität Bochum

Klärung und ethische Bewertung - Medikamente und Heimerziehung

Ein Autorenteam der Ruhr-Universität Bochum weist Medikamentenmissbrauch in der Heimerziehung der Nachkriegszeit nach und bewertet diesen ethisch.

Der Historiker Dr. Uwe Kaminsky und die Ethikerin Prof. Dr. Katharina Klöcker von der Ruhr-Universität Bochum (RUB) beleuchten in ihrem Buch "Medikamente und Heimerziehung am Beispiel des Franz Sales Hauses" lange Zeit verschwiegene Formen des Missbrauchs von Medikamenten, insbesondere Psychopharmaka. Rechtlich gesehen spielten sich damalige Medikamententests in Heimen in einem Graubereich ab, da Testungen an Minderjährigen nicht generell verboten waren und Einwilligungen von Erziehungsberechtigten auch nur mündlich erteilt werden konnten.

Am Beispiel des Franz-Sales-Hauses in Essen zeigen die Wissenschaftler in einer der ersten umfangreichen wissenschaftlichen Analysen, dass mindestens ein Medikament vor seiner Markteinführung an Heimkindern getestet wurde, zum Teil unter Inkaufnahme erheblicher Nebenwirkungen. Im Erziehungsalltag seien Medikamente zudem als Disziplinierungsmittel eingesetzt worden. Aktenrecherchen und Zeitzeugeninterviews vermitteln ein umfassendes Bild des Medikamenteneinsatzes.

Ethische Akzentsetzung als Bochumer Besonderheit

Eine Besonderheit der Bochumer Studie ist ihre ethische Akzentsetzung. Auf Grundlage der historischen Rekonstruktion der Medikamententests legt das Buch erstmals eine ausführliche ethische Bewertung von Medikamentengaben im Heimkontext vor.

Exemplarisch richtet sich dabei der Blick auf den in den 1950er- und 1960er-Jahren im Franz-Sales-Haus amtierenden Anstaltsarzt, der Medikamente nicht nur aus therapeutischen Gründen einsetzte, sondern diese testete und darüber hinaus als Disziplinierungsmittel zur Aufrechterhaltung der Struktur des Heims nutzte. Diese Formen des Medikamenteneinsatzes werden in der Studie dezidiert als Missbrauch eingeordnet. "Auch unter Berücksichtigung des zeitgeschichtlichen Kontextes ist eine Rechtfertigung der Medikamentengaben zum Wohl der Kinder nicht haltbar", so Katharina Klöcker. Institutionelle und strukturelle Bedingtheiten hätten das Handeln des Arztes zwar beeinflusst. Er sei aber trotzdem in hohem Maße mitverantwortlich dafür, "dass den Heimkindern im Franz-Sales-Haus durch moralisch nicht zu rechtfertigende Medikamentengaben großes Leid widerfuhr".

Anliegen

Ein zentrales Anliegen der Studie ist es, im Eingedenken des Medikamentenmissbrauchs in der Heimerziehung der Nachkriegsjahrzehnte ein Bewusstsein für mögliche Formen des Medikamentenmissbrauchs in der Gegenwart zu schärfen. Zugleich wollen die Autoren einen nachhaltigen Beitrag zur Anerkennung des Leids der ehemaligen Heimkinder leisten.

Reaktion des Franz-Sales-Hauses

"Die bedrückenden Erkenntnisse zum Umgang mit Medikamenten in der damaligen Zeit machen uns betroffen", so der Direktor des Franz-Sales-Hauses, Hubert Vornholt. Sie zeigten, wie wichtig die Auseinandersetzung mit der Geschichte sei: um das Leid der Betroffenen anzuerkennen und Lehren für Gegenwart und Zukunft zu ziehen. Neben der historischen Aufarbeitung sei die ethische Reflexion von besonderem Wert, betonte Vornholt. Die Ergebnisse des interdisziplinären Drittmittelprojekts, das vom Franz-Sales-Haus finanziell gefördert wurde, würden wichtige Hinweise darauf geben, wie ein verantwortungsvoller Umgang mit Medikamenten heute und in Zukunft sichergestellt werden könnte.

Originalveröffentlichung
Uwe Kaminsky, Katharina Klöcker: Medikamente und Heimerziehung am Beispiel des Franz Sales Hauses. Historische Klärungen - Ethische Perspektiven. Aschendorff-Verlag Münster 2020, 270 Seiten, ISBN 9783402246979

Quelle: Pressemitteilung vom 28.08.2020
Pressekontakt
Prof. Dr. Katharina Klöcker
Lehrstuhl für Theologische Ethik
Katholisch-Theologische Fakultät
Ruhr-Universität Bochum
E-Mail: katharina.kloecker@rub.de

Dr. Uwe Kaminsky
Lehrstuhl für Christliche Gesellschaftslehre Evangelisch-Theologische Fakultät Ruhr-Universität Bochum
E-Mail: dr.uk@web.de
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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