Kündigung einer Pflegehelferin wegen zwangsweiser Körperpflege bei einem Demenzkranken

Arbeits- und Arbeitsschutzrecht, Allgemeine Rechtskunde (einschließlich Staatsrecht), Zivilrecht (z.B. Erbrecht)

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Kündigung einer Pflegehelferin wegen zwangsweiser Körperpflege bei einem Demenzkranken

Beitrag von WernerSchell » 19.10.2020, 09:42

Kündigung einer Pflegehelferin wegen zwangsweiser Körperpflege bei einem Demenzkranken

Leitsätze:
1. Eine körperliche Misshandlung von Heimbewohnern ist typischerweise geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Der Einsatz von Zwang und Gewalt gegen einen Heimbewohner stellt eine Misshandlung dar, die je nach den Umständen des Einzelfalles ein unterschiedliches Gewicht haben kann. Eine schwerwiegende Misshandlung liegt vor, wenn einem Heimbewohner Schmerzen oder Verletzungen zugefügt werden, beispielsweise durch Schläge, Stöße, grobes Zufassen.
2. Wird ein demenzkranker Heimbewohner durch zwei Pflegekräfte bei massiver Gegenwehr zwangsweise gewaschen und rasiert, stellt das trotz hygienischer Gründe regelmäßig eine körperliche Misshandlung dar, die zu einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung berechtigen kann.


Aus den Gründen:
Eine körperliche Misshandlung von Heimbewohnern ist typischerweise geeignet, eine Kündigung zu rechtfertigen. Der Einsatz von Zwang und Gewalt gegen einen Heimbewohner stellt eine Misshandlung dar, die je nach den Umständen des Einzelfalles ein unterschiedliches Gewicht haben kann. Eine schwerwiegende Misshandlung liegt vor, wenn einem Heimbewohner Schmerzen oder Verletzungen zugefügt werden, beispielsweise durch Schläge, Stöße, grobes Zufassen (vgl. LAG Hessen, Urteil vom 30. März 2000 – 5/8 Sa 1230/99 –; ArbG Frankfurt, Urteil vom 20. Mai 2003 – 4 Ca 8822/02). Gleiches gilt für eine zwangsweise und gewaltsame Zuführung von Getränken und Speisen (vgl. LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 08. Dezember 2009 – 2 Sa 223/0) oder eine unrechtmäßige Fixierung. Der Schweregrad einer Misshandlung bestimmt sich insbesondere nach deren Dauer und Häufigkeit. Eine Misshandlung kann sich auch aus einem pflichtwidrigen Unterlassen ergeben, z. B. Versagung notwendiger Hilfeleistungen.
Mit der Unterbringung in einem Heim ist nicht eine Einschränkung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit und des Persönlichkeitsrechts verbunden. Die Würde, Interessen und Bedürfnisse der Heimbewohner sind zu schützen; die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung sind zu wahren und zu fördern (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 HeimG). Die Erkrankung oder Gebrechlichkeit eines Heimbewohners ändert daran nichts. Aufgrund dessen ist der Heimbewohner in besonderer Weise schutzbedürftig, da er je nach körperlicher und geistiger Verfassung nicht ausreichend in der Lage ist, seine Interessen selbst zu wahren. Das kann auch die grundlegenden Bedürfnisse, wie Essen, Trinken, Körperpflege, betreffen. Die Anwendung körperlicher Gewalt ist grundsätzlich unzulässig, bei einem kranken Menschen ebenso wie bei einem gesunden. Über evtl. notwendige Ausnahmen entscheiden die zuständigen Ärzte, Betreuer und staatlichen Institutionen.


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Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 19.11.2019, 5 Sa 97/19
> http://www.landesrecht-mv.de/jportal/po ... 095&st=ent


Es wurde nach einer Notiz in "Rechtsdepesche", März/April 2020, Nichtzulassungsbeschwerde beim BAG eingelegt (Az.: 2 AZN 3/20)
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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