Arbeitssicherheit in der Arztpraxis ist Chefsache

Arbeits- und Arbeitsschutzrecht, Allgemeine Rechtskunde (einschließlich Staatsrecht), Zivilrecht (z.B. Erbrecht)

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Arbeitssicherheit in der Arztpraxis ist Chefsache

Beitrag von WernerSchell » 03.10.2017, 06:25

Schmerzensgeldanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber wegen bedingt vorsätzlichem Verstoß gegen Unfallverhütungsbestimmungen

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Urteil des Landesarbeitsgerichts (LArbG) Nürnberg vom09.06.2017 – 7 Sa 231/16 -
Download des Urteils:
>>> http://www.gesetze-bayern.de/Content/Do ... 62?hl=true

Leitsätze:
1. Der beklagte Arzt stellte einer mit der Blutentnahme allein beauftragten Auszubildenden bewusst nicht die seit Jahren vorgeschriebenen Sicherheitskanülen zur Verfügung, obwohl er wusste, dass der Patient an Hepatitis C erkrankt ist. Die Auszubildende infizierte sich daher bei der Blutentnahme selbst und erkrankte in Folge der notwendigen Interferonbehandlung dauerhaft an rheumatischer Arthritis mit daraus folgenden schweren Lebensbeeinträchtigungen. Sie ist nunmehr schwerbehindert. Das Gericht nahm an, dass der Arzt mit bedingtem Vorsatz gehandelt habe, die Haftung deshalb nicht gem. § 104 SGB VII ausgeschlossen sei und verurteilte ihn zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 150.000,- €.
2. Einem Arbeitgeber obliegt es, dafür Sorge zu tragen, dass die Arbeitsmittel, die er seinem Arbeitnehmer zur Verfügung stellt, den Unfallverhütungsbestimmungen entsprechen (hier: unterlassene Verwendung der seit 2008 vorgeschriebenen Sicherheitskanülen zur Blutentnahme). (Rn. 33) (red. LS Alke Kayser)
3. Der Verstoß eines Arbeitgebers gegen zugunsten von Arbeitnehmern bestehende Schutzpflichten indiziert keinen Vorsatz bezüglich der Herbeiführung eines Arbeitsunfalls iSd § 104 SGB VII. Ein Arbeitgeber wird trotz eines Verstoßes gegen Arbeitsschutzvorschriften regelmäßig darauf hoffen, es werde kein Unfall eintreten. Umgekehrt gibt es jedoch keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass derjenige, der vorsätzlich eine zugunsten des Arbeitnehmers bestehende Schutzvorschrift missachtet, eine Schädigung oder eine mögliche Berufskrankheit des Arbeitnehmers nicht billigend in Kauf nimmt. (Rn. 54 – 57) (red. LS Alke Kayser)
4. Zur Abgrenzung der bewussten Fahrlässigkeit vom bedingten Vorsatz. (Rn. 58 – 76) (red. LS Alke Kayser)
5. Führt der Arbeitnehmer aufgrund der Weisung seines Arbeitgebers oder dessen Vertreters eine gefährliche Arbeit aus, so ist regelmäßig ein anspruchsminderndes Mitverschulden des Arbeitnehmers zu verneinen (Anschluss an BAG BeckRS 1983, 04997). (Rn. 103) (red. LS Alke Kayser)

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Ärzte Zeitung vom 28.08.2017:
Urteil
Arbeitssicherheit in der Praxis ist Chefsache
Bei einer Blutabnahme infiziert sich eine MFA mit Hepatitis C. Muss der Arzt ihr Schmerzensgeld zahlen? Das LAG hat in diesem Fall mit hoher Schmerzensgeldforderung jetzt geurteilt.
mehr » https://www.aerztezeitung.de/nl/?sid=94 ... fpuryyqrde
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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