Angemessenheit eines Nachtarbeitszuschlags

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Angemessenheit eines Nachtarbeitszuschlags

Beitrag von WernerSchell » 03.07.2016, 06:33

Angemessenheit eines Nachtarbeitszuschlags - Dauerhafte Nachtarbeit

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Bestehen keine tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen, haben Nachtarbeitnehmer nach § 6 Abs. 5 ArbZG einen gesetzlichen Anspruch auf einen angemessenen Nachtarbeitszuschlag oder auf eine angemessene Anzahl bezahlter freier Tage. Regelmäßig ist dabei ein Zuschlag iHv. 25% auf den Bruttostundenlohn bzw. die entsprechende Anzahl freier Tage für die zwischen 23.00 Uhr und 6.00 Uhr geleisteten Nachtarbeitsstunden angemessen. Bei Dauernachtarbeit erhöht sich dieser Anspruch regelmäßig auf 30%.

Der Kläger ist bei der Beklagten als Lkw-Fahrer im Paketlinientransportdienst tätig. Die Arbeitszeit beginnt in der Regel um 20.00 Uhr und endet unter Einschluss von Pausenzeiten um 6.00 Uhr. Die Beklagte ist nicht tarifgebunden. Sie zahlte an den Kläger für die Zeit zwischen 21.00 Uhr und 6.00 Uhr einen Nachtzuschlag auf seinen Stundenlohn iHv. zunächst etwa 11%. Später hob sie diesen Zuschlag schrittweise auf zuletzt 20% an. Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm einen Nachtarbeitszuschlag iHv. 30% vom Stundenlohn zu zahlen oder einen Freizeitausgleich von zwei Arbeitstagen für 90 geleistete Nachtarbeitsstunden zu gewähren.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgeben, das Landesarbeitsgericht hingegen nur einen Anspruch iHv. 25% festgestellt. Die Revision des Klägers hatte vor dem Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Bestehen - wie im Arbeitsverhältnis der Parteien - keine tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen, haben Nachtarbeitnehmer nach § 6 Abs. 5 ArbZG einen gesetzlichen Anspruch auf einen angemessenen Nachtarbeitszuschlag oder auf eine angemessene Anzahl bezahlter freier Tage für die zwischen 23.00 Uhr und 6.00 Uhr geleisteten Arbeitsstunden. Regelmäßig ist dabei ein Zuschlag iHv. 25% auf den Bruttostundenlohn bzw. die entsprechende Anzahl bezahlter freier Tage angemessen. Eine Reduzierung der Höhe des Nachtarbeitsausgleichs kommt in Betracht, wenn während der Nachtzeit beispielweise durch Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst eine spürbar geringere Arbeitsbelastung besteht. Besondere Belastungen können zu einem höheren Ausgleichsanspruch führen. Eine erhöhte Belastung liegt nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen bei Dauernachtarbeit vor. In einem solchen Fall erhöht sich der Anspruch regelmäßig auf einen Nachtarbeitszuschlag iHv. 30% bzw. eine entsprechende Anzahl freier Tage. Da der Kläger Dauernachtarbeit erbringt, steht ihm ein Ausgleichsanspruch iHv. 30% zu. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist ein für die Zeit zwischen 21.00 Uhr und 23.00 Uhr gezahlter Zuschlag nicht anrechenbar. Ebenso wenig ist die Höhe des Stundenlohns des Klägers relevant. Erkennbare Anhaltspunkte dafür, dass in diesem bereits ein anteiliger Nachtarbeitszuschlag enthalten ist, bestehen nicht.

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 AZR 423/14 -

Vorinstanz Landesarbeitsgericht Hamburg
Urteil vom 9. April 2014 - 6 Sa 106/13 -


Quelle: Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 09.12.2015 Nr. 63/15
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cg ... achtarbeit

In einem ähnlich gelagerten Fall (- 10 AZR 29/15 -) hatte das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Urteil vom 19. November 2014 - 7 Sa 417/14 -) die Beklagte zur Zahlung eines Nachtarbeitszuschlags in Höhe von 30% verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten hat der Senat zurückgewiesen. In einem weiteren Fall (- 10 AZR 156/15 -) hat der Senat die Entscheidung der Vorinstanz (LAG München, Urteil vom 29. Januar 2015 - 4 Sa 557/14 -) aus prozessualen Gründen aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

*§ 6 Abs. 5 ArbZG lautet:
Soweit keine tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen bestehen, hat der Arbeitgeber dem Nachtarbeitnehmer für die während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren.
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Dauernachtarbeit auf Kosten von Gesundheit und Sozialleben

Beitrag von WernerSchell » 09.03.2020, 07:13

Dauernachtarbeit auf Kosten von Gesundheit und Sozialleben

(Quelle: BAuA) Beschäftigte, die dauerhaft während der Nacht arbeiten, sind unzufriedener mit ihrer Work-Life-Balance und schätzen ihren Gesundheitszustand schlechter ein als andere Beschäftigte. Besonders gefährdet sind vollzeitbeschäftigte Dauernachtarbeitende, die mit durchschnittlich 46 Stunden pro Woche deutlich länger arbeiten als andere Vollzeitbeschäftigte. Diese und weitere Ergebnisse enthält der neue baua: Bericht kompakt "Dauernachtarbeit in Deutschland. Arbeit gegen biologische und soziale Rhythmen" der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Zudem gibt der Bericht Hinweise auf die gesetzlichen Regelungen zur Nachtarbeit sowie zu ihrer gesundheitsgerechten Gestaltung.
Ob Gesundheitswesen, Polizei, Bäckereien, Energieversorgung oder manche Produktionsbereiche - Nachtarbeit kann aus vielen Gründen erforderlich sein. Häufig fällt sie im Zusammenhang mit Schichtsystemen an. Ein Teil der Beschäftigten arbeitet ausschließlich nachts. Am häufigsten arbeiten Dauernachtarbeitende im Gesundheits- und Sozialwesen, dem produzierenden Gewerbe und der Verkehrs- und Lagerei-Branche. Fast ein Drittel (31 Prozent) der Dauernachtarbeitenden arbeitet in Teilzeit. Diese scheinen die Nachtarbeit für ihre Vereinbarkeit zu nutzen - denn sie sind häufig zufriedener mit ihrer Work-Life-Balance als Vollzeit Dauernachtarbeitende.
Insgesamt sagen 77 Prozent aller abhängig Beschäftigten, dass sie zufrieden oder sehr zufrieden mit der Passung ihres Arbeits- und Privatlebens sind. Bei den Beschäftigten in Dauernachtschicht sind dies nur 61 Prozent. Nur etwa jeder zweite Beschäftigte in Dauernachtarbeit (51 Prozent) schätzt den eigenen allgemeinen Gesundheitszustand als gut bis sehr gut ein, während es bei allen abhängig Beschäftigten 62 Prozent sind. Dauernachtarbeit geht zudem häufig mit gesundheitlichen Beschwerden einher. Am häufigsten klagen die Beschäftigten über Schmerzen im unteren Rücken (60 Prozent) und allgemeine Müdigkeit, Mattigkeit oder Erschöpfung (56 Prozent). Häufig berichten die Befragten auch über körperliche Erschöpfung (44 Prozent) und nächtliche Schlafstörungen (43 Prozent). Dies geht aus einer Auswertung der repräsentativen BAuA-Arbeitszeitbefragung 2015 hervor. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Beschäftigte in Dauernacht nicht nur ungünstige Arbeitszeiten, sondern auch häufiger körperlich fordernde Arbeitsbedingungen haben. Gleichzeitig kann davon ausgegangen werden, dass gesundheitlich beeinträchtigte Personen eher nicht in Dauernacht arbeiten. Insgesamt lässt sich Dauernachtarbeit aus arbeitswissenschaftlicher Perspektive nicht befürworten, da die Arbeit gegen die biologische Uhr und soziale Rhythmik mit hohen gesundheitlichen Risiken verbunden ist. Besonders Beschäftigte mit langen Arbeitszeiten sind hierbei gefährdet.
So legen gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse nahe, dass möglichst wenige Nachtschichten aufeinander folgen sollten. Auf eine solche Nachtschichtphase sollte sich eine möglichst lange Ruhephase anschließen. Ebenso sollten Arbeitszeiten in der Nacht möglichst kurz, planbar und für die Beschäftigten transparent sein. Freizeitausgleich sollte den Vorrang vor finanziellen Zuschlägen haben. Nachtarbeit sollte nur unter enger medizinischer Begleitung erfolgen. Zudem weist der Bericht auf weitere arbeitswissenschaftliche Empfehlungen und Regelungen zum Schutz der Nachtarbeitenden im Arbeitszeitgesetz hin.
Den baua: Bericht kompakt "Dauernachtarbeit in Deutschland. Arbeit gegen biologische und soziale Rhythmen" gibt es als PDF im Internetangebot der BAuA hier. > https://www.baua.de/DE/Angebote/Publika ... NEWSLETTER

Quelle: Mitteilung vom 08.03.2020
Verband Kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Rheinland-Westfalen-Lippe
Beratgerstraße 36
44149 Dortmund
Tel.: 0231/ 579743
Fax: 0231/ 579754
E-Mail: info@vkm-rwl.de
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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