„Überlastungsanzeigen“ - Dienstvereinbarung ...

Arbeits- und Arbeitsschutzrecht, Allgemeine Rechtskunde (einschließlich Staatsrecht), Zivilrecht (z.B. Erbrecht)

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„Überlastungsanzeigen“ - Dienstvereinbarung ...

Beitrag von Presse » 18.03.2013, 14:08

Sozial-Holding: Geschäftsführung und Betriebsrat schließen Dienstvereinbarung für „Überlastungsanzeigen“

Geschäftsführer fordert einheitliche Tariflöhne in der Pflege und bundesweit vergleichbare Personalanhaltszahlen ein

Die Sozial-Holding der Stadt Mönchengladbach GmbH ist der größte Anbieter stationärer Altenpflege in Mönchengladbach und beschäftigt rund 870 Mitarbeiterinnen. Für vorbildliche Personalpolitik und seine mitarbeiterbezogenen Konzepte, Projekte und Initiativen ist das Unternehmen mehrfach ausgezeichnet worden. Um die immer stärker belasteten Beschäftigten in der Pflege nicht weiter dem Risiko auszusetzen, persönlich für Fehler haftbar gemacht zu werden, die sich aus den gesetzlichen und personellen Rahmenbedingungen in der Pflege fast unausweichlich ergeben, hat die Geschäftsführung mit dem Betriebsrat jetzt eine Betriebsvereinbarung für so genannte Überlastungsanzeigen abgeschlossen.

„Während beim Gesetzgeber und den Kostenträgern viel über die Wertschätzung von Pflegenden gesprochen wird, aber nach wie vor zum Beispiel einheitliche Tarife oder vergleichbare Personalanhaltszahlen fehlen, können wir die Beschäftigen nicht weiter im Regen stehen lassen“, erklärt Sozial-Holding Geschäftsführer Helmut Wallrafen-Dreisow. Jürgen Schmitz, Personalchef des Unternehmens und Mitautor der Vereinbarung: „Uns sind die Beschäftigten so wichtig, dass wir nicht länger auf -wie auch immer geartete- Regelungen und Versprechungen warten konnten und wollten“.

Ausgangspunkt der in dieser Vereinbarung getroffenen Regelungen ist das persönliche Gespräch der Beschäftigten mit den unmittelbar Vorgesetzten und die Information über die Belastungs- bzw. Überlastungssituation.
Lassen sich in diesem Gespräch keine Lösungen finden, um die Situation für den Betroffenen zu verbessern, kann er mit einem Formblatt, das an die Personalabteilung, den Betriebsrat und den Arbeitsschutzbeauftragten geleitet wird, formal seine Überlastung dokumentieren und anzeigen. Dann sind Personalabteilung und Betriebsrat verpflichtet, sich innerhalb von 14 Tagen vor Ort mit den geschilderten Problemen zu befassen und nach Lösungen zu suchen.

Betriebsratsvorsitzende Monika Kuhlen-Heck dazu: „Uns ist klar, dass die Sozial-Holding unter den gesetzlichen Rahmenbedingungen arbeiten muss, die es nun einmal zur Zeit leider gibt. Nichts desto trotz dürfen wir nicht nachlassen, eine bessere Personalausstattung für die Altenpflege von der Politik und den Kostenträgern zu fordern. Denn auch bei noch so guten betrieblichen Regelungen sind die Arbeitssituationen für die Kolleginnen und Kollegen bundesweit so nicht mehr akzeptabel.“ Die bisherige Praxis zeige, dass sich in vielen Fällen Lösungen im Dialog finden lassen, etwa durch eine verbesserte Gestaltung der Dienstpläne.

„Es ist erschreckend, dass die Überlastungs-Thematik weder im Arbeits- noch im Tarifrecht näher geregelt ist. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Pflegepersonal immer häufiger persönlich von Kassen und Angehörigen persönlich zur Verantwortung gezogen werden“, so Helmut Wallrafen-Dreisow. Und weiter: „Als Arbeitgeber dürfen wir nicht zulassen, dass die Pflegekräfte vor Ort für das Versäumnisse von Politik und Kostenträgern persönlich zur Verantwortung gezogen werden. Wenn Qualität zu Recht gefordert wird, dann muss auch Tariflohn gezahlt und genügend Personal vorgehalten werden.“

Diese Punkte seien aber nach wie vor gesetzlich nicht geregelt. Zwar habe man Sanktionen eindeutig beschrieben und die Prüfinstrumentarien verschärft. „Aber menschwürdige Arbeitsbedingungen auf der Basis von Personalanhaltszahlen gibt es im Gegensatz zu vielen anderen Branchen in der Altenpflege immer noch nicht. Wallrafen-Dreisow: „Die anstehende Bundestagswahl bietet allen Parteien die Chance ein klares Bekenntnis zur Altenpflege abzugeben. Nicht mit Wahlkampfbroschüren, sondern durch gesetzlich geregelte Rahmenbedingungen, die eine menschwürdige Pflege erst möglich machen. Ein einheitlicher Tariflohn in der Pflege und bundesweit vergleichbare Personalanhaltszahlen würden Betriebsvereinbarungen wie die beschriebene dann überflüssig machen.“

Bei Rückfragen steht Ihnen die Geschäftsführung gerne zur Verfügung.

Quelle: Pressemitteilung vom 18.03.2013
Geschäftsführung:
Helmut Wallrafen-Dreisow
Sozial-Holding der Stadt Mönchengladbach GmbH
Königstr. 151
41236 Mönchengladbach
Tel. 02166 - 455 4100
Fax 02166 - 455 4119
Internet: http://www.sozial-holding.de/

ProPflege
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Überlastungsanzeige in der Pflege und darüber hinaus

Beitrag von ProPflege » 18.03.2013, 14:22

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Unabhängige und gemeinnützige Interessenvertretung
für hilfe- und pflegebedürftige Menschen in Deutschland
Harffer Straße 59 - 41469 Neuss


Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk sieht in der geschlossenen Dienstvereinbarung zur "Überlastungsanzeige" eine gute Übereinkunft zwischen ArbeitnehmerInnen und Arbeitgeber. Das kann ein Modell für alle Unternehmen in den Pflege- und Gesundheitseinrichtungen sein.

Nähere Informationen zur Überlastungsanzeige gibt es im Forum unter folgenden Adressen:

100 Fragen zum Umgang mit Mängeln in Pflegeeinrichtungen hier
http://www.wernerschell.de/Buchtipps/10 ... tungen.php
http://www.wernerschell.de/forum/neu/vi ... hp?t=15865
Überlastungsanzeige im Bereich der Pflege - Buchtipp
http://www.wernerschell.de/forum/neu/vi ... ngsanzeige
Die Überlastungsanzeige im Bereich der Pflege ... Buchtipp
http://www.wernerschell.de/forum/neu/vi ... ngsanzeige

Weitere Beiträge zum Thema können im Forum aufgerufen unter "Suchen". Dort bitte "Überlastungsanzeige" eingeben
und die Texte werden angezeigt.
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„Überlastungsanzeigen“ - Dienstvereinbarung ...

Beitrag von PflegeCologne » 19.03.2013, 09:02

Presse hat geschrieben:Sozial-Holding: Geschäftsführung und Betriebsrat schließen Dienstvereinbarung für „Überlastungsanzeigen“
Geschäftsführer fordert einheitliche Tariflöhne in der Pflege und bundesweit vergleichbare Personalanhaltszahlen ein
....
Die angesprochene Vereinbarung deutet ein gutes Miteinander zwischen Arbeitgeber und ArbeiternehmerInnen an. Wie wäre es mit einer Nachahmung auch in anderen Betrieben? Was spricht dagegen?
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Alzheimer - eine Krankheit, die mehr Aufmerksamkeit erfordert! - Pflegesystem muss dem angepasst werden, auch, wenn es teurer wird! - Ich bin dabei:
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Nursing-Neuss
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„Überlastungsanzeigen“ - Dienstvereinbarung ...

Beitrag von Nursing-Neuss » 20.03.2013, 08:00

Presse hat geschrieben:Sozial-Holding: Geschäftsführung und Betriebsrat schließen Dienstvereinbarung für „Überlastungsanzeigen“
Geschäftsführer fordert einheitliche Tariflöhne in der Pflege und bundesweit vergleichbare Personalanhaltszahlen ein . ..
Hoffentlich wird diese löbliche Vereinbarung bald auch in anderen Regionen bekannt und zur Grundlage eines vernünftigen Miteinanders zwischen Trägerverantwortlichen und MitarbeiterInnen.

Nursing-Neuss
Das Pflegesystem muss grundlegend reformiert werden. U.a. ist deutlich mehr Pflegepersonal erforderlich!

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Überlastungsanzeige ... Sozial-Holding ....

Beitrag von Rauel Kombüchen » 29.03.2013, 15:03

Vorbildich!
R.K.
Pflegeversicherung - Pflegebegriff erneuern und Finanzierung nachhaltig sichern! BürgerInnen müssen mehr Informationen erhalten - z.B. wg. Individualvorsorge!

Herbert Kunst
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Dienstvereinbarung für Überlastungsanzeigen geschlossen

Beitrag von Herbert Kunst » 31.03.2013, 14:48

"CAREkonkret", Die Wochenzeitung für Entscheider in der Pflege", berichtet in ihrer Ausgabe vom 28.03.2013 u.a. über
"Sozialholding der Stadt Mönchengladbach - Dienstvereinbarung für Überlastungsanzeigen geschlossen"
+++
Siehe Näheres zur Überlastungsanzeigen im Buch "100 Fragen zum Umgang mit Mängeln in Pflegeeinrichtungen".
http://www.wernerschell.de/Buchtipps/10 ... tungen.php
Für menschenwürdige Pflege sind wir alle verantwortlich! - Dazu finde ich immer wieder gute Informationen unter http://www.wernerschell.de

WernerSchell
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Überlastungsanzeigen - Dienstvereinbarung regel Näheres

Beitrag von WernerSchell » 02.04.2013, 09:36

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Pressemitteilung vom 02.04.2013

Überlastungsanzeigen: Haftungsrechtliche Entlastungsgrundlage für die MitarbeiterInnen in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen

Die Geschäftsführung und der Betriebsrat der Sozial-Holding GmbH (größter Anbieter stationärer Altenpflege in Mönchengladbach mit rund 870 Beschäftigten) haben eine Dienstvereinbarung für arbeitsrechtliche Überlastungsanzeigen abgeschlossen.

Werner Schell, Dozent für Pflegerecht und Vorstand von Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk, hat folgende Stellungnahme abgegeben:

Es gibt seit Jahren vielseitige Bemühungen, die Qualität in den Gesundheits- und Pflegesystemen zu verbessern und die MitarbeiterInnen in den entsprechenden Einrichtungen (z.B. Krankenhäuser, ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen) zu motivieren, im Rahmen der geltenden Rechtsvorschriften Anregungen, Verbesserungsvorschläge und Beschwerden bezüglich festgestellter Mängel und Fehler im Betrieb, bei den zuständigen Behörden und auch in der Öffentlichkeit vorzutragen.

Ich selbst habe im Rahmen meiner Lehrtätigkeit bei Aus-, Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen für Pflegekräfte sowie in Buchveröffentlichungen bzw. Zeitschriftenartikeln immer wieder auf die einschlägigen Rechtsregeln aufmerksam gemacht und bin dabei immer wieder auf ein reges Interesse gestoßen. Auch im Rahmen meiner Lehrtätigkeit an der Katholischen Fachhochschule Köln („Pflegepädagogik“) wurden haftungsrechtliche Fragen umfassend angesprochen mit der Folge, dass einige Studierende (Ender der 90er Jahre) sogar Veranlassung sahen, zur „Überlastungsanzeige“ ihre Hausarbeit zu fertigen.

Es ist bei Kennern der Szene bekannt, dass MitarbeiterInnen, die sich selbstbe-wusst zu Mängel, Fehlentwicklungen usw. äußern, schnell Nachteile erfahren. Dabei sind (fristlose) Kündigungen keine Seltenheit. Die dann in Anspruch genommenen Gerichte haben überwiegend zum Nachteil der MitarbeiterInnen entschieden. Darauf hat Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk bereits in einer Pressemitteilung vom 04.04.2010 hingewiesen und dabei auf eine mögliche Neufassung des § 612a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) aufmerksam gemacht. Mittlerweile ist auch der Deutsche Bundestag mit der Angelegenheit befasst (Aktenzeichen: Pet 2-17-15-2124-026035). Eine solche Neufassung könnte die MitarbeiterInnen in der Pflege ermuntern, sich zeitgerecht und ohne (wesentliche) Nachteile befürchten zu müssen, zur Qualitätsverbesserung mit geeigneten Hinweisen / Vorschlägen einzubringen. Mit dem Antrag von Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk, eine Neufassung des § 612a BGB in Erwägungen zu ziehen, sollten auch die Bestrebungen, den allgemeinen Whistleblowerschutz für die Bundesrepublik Deutschland voran zu bringen, unterstützt werden. Insoweit gibt es aber leider vielfältige Widerstände.

Am 21.07.2011 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ( EGMR, Az.: 28274/08 ) in einem Streitverfahren zu Gunsten der ehemaligen Altenpflegerin Brigitte Heinisch (aus Berlin), dass über Pflegemängel in einer Pflegeeinrichtung bei einem Interesse, das gegenüber dem Interesse des Unternehmens am Schutz seines Rufes und seiner Geschäftsinteressen überwiegt, öffentlich informiert werden kann. Bei der Urteilsfindung war u.a. bedeutsam, dass die von Brigitte Heinisch beklagten Missstände vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) im Wesentlichen bestätigt worden waren.

Obwohl der inzwischen rechtskräftig gewordenen Entscheidung des EGMR richtungsweisenden Charakter zukommt, sollten ArbeiternehmerInnen bei Mitteilungen / Anzeigen über Pflegemängel die allgemein geltenden Regeln über betriebliche Beschwerden nicht außer Acht lassen. Solange nämlich nicht entsprechend den seit Jahren erhobenen Forderungen von Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk eine arbeitnehmerfreundliche Novellierung des § 612a BGB aufgegriffen ist, bleiben bei einer Öffentlichmachung von Mangelsituationen Risiken. Solche Risiken hat auch das Urteil des EGMR, das sich auf einen ganz konkreten Einzelfall bezieht, nicht vollständig beseitigen können.

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Köln vom 05.07.2012 - 6 Sa 71/12 – macht erneut deutlich, dass bei Anzeigen gegebenenfalls auf eine unverhältnismäßige Reaktion geschlossen werden und die Verletzung der Arbeitgeberinteressen angenommen werden kann. Das LAG hat mit seiner Entscheidung die fristlose Kündigung einer Hauswirtschafterin für wirksam erklärt, die mit der Betreuung von zwei Kindern im Alter von zehn Monaten und zwei Jahren beschäftigt war und die Eltern der Kinder beim Jugendamt angezeigt hatte.

In den Urteilsgründen des LAG wurde u.a. ausgeführt:

„Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unterfallen Anzeigen eines Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber gesetzlich dem Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Allerdings hat ein Arbeitnehmer grundsätzlich auch den Ruf des Arbeitgebers zu schützen. Zwischen diesen Rechten und Pflichten ist eine Abwägung vorzunehmen, wenn es um die Frage geht, ob ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer kündigen darf, der ihn anzeigt. Wesentlich ist dabei nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unter anderem, ob der Arbeitnehmer die Offenlegung in gutem Glauben und in der Über-zeugung vorgenommen hat, dass die Information wahr sei, dass sie im öffentlichen Interesse liege und dass keine anderen, diskreteren Mittel existierten, um gegen den ange-prangerten Missstand vorzugehen ( EGMR vom 21.07.2011 - 28274/08 ).“
Nach diesen Grundsätzen wies das LAG die Klage der Hauswirtschafterin gegen die frist-lose Kündigung ab. Die fristlose Kündigung war ausgesprochen worden, nachdem die Eheleute der Hauswirtschafterin zuvor schon in der Probezeit fristgemäß gekündigt hatten. Die Hauswirtschafterin hatte sich danach an das Jugendamt gewandt und über Verwahrlosung und dadurch hervorgerufene körperliche Schäden der zehn Monate alten Tochter berichtet. Ein kinderärztliches Attest wies dagegen aus, dass die Tochter einen altersgemäß unauffälligen Untersuchungsbefund habe. Zeichen von Verwahrlosung lägen nicht vor.
Das LAG sah in der Anzeige eine unverhältnismäßige Reaktion auf die zuvor ausgespro-chene ordentliche Kündigung. Selbst dann, wenn die Vorwürfe als richtig unterstellt würden, habe die Hauswirtschafterin unter Beachtung ihrer Loyalitätspflichten zunächst eine interne Klärung mit dem Ehepaar versuchen müssen. Erst nach Scheitern eines solchen Versuches habe eine Behörde eingeschaltet werden dürfen. Ob die Behauptungen der Hauswirtschafterin zutreffend seien, hat das Landesarbeitsgericht dahinstehen lassen.

Es kann daher nur empfohlen werden, den von mir in der Buchveröffentlichung »100 Fragen zum Umgang mit Mängeln in Pflegeeinrichtungen« aufgezeigten Handlungsanleitungen Aufmerksamkeit zu schenken und anhand der gemachten Vorschläge zu verfahren.
+++
Wie man konkret bei Pflegemängeln vorgeht - das verraten die 100 Tipps dieses Buches:
Bild
ISBN 978-3-89993-767-1, Kunz Verlag, Buchreihe der Schlüterschen, Hannover.
Aus dem Inhalt:
• Allgemeine patienten- bzw. pflegerechtliche Grundsätze
• Leistungsstörungen bei der pflegerischen Dienstpflichterfüllung und die Folgen
• Verantwortlichkeiten für mängelbehaftete Dienstleistungen im Arbeitsrecht
• Betriebsinternes Beschwerdemanagement
• Das Arbeitsschutzrecht
• Loyalitäts- und Schweigepflichten der Arbeitneh-mer
• Vom Umgang mit Pflegemängeln

+++

In diesen Handlungsanleitungen wird ausdrücklich auf die Möglichkeit hingewiesen, seitens der MitarbeiterInnen in geeigneten Situationen mit Überlastungsanzeigen zu reagieren. Obwohl die Abfassung und Präsentation solcher Überlastungsanzeigen keine rechtlich relevanten Einwände entgegen stehen, hat sich aber vielfach eine große Zurückhaltung gegenüber diesbezüglichen Wortmeldungen ergeben. Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk hat gleichwohl immer wieder zu solchen Überlastungsanzeigen ermuntert und der Arbeitgeberseite verdeutlicht, dass solche Mitteilungen ja schließlich auch als kostenlose Verbesserungsvorschläge verstanden werden können. Zu beachten ist aber, dass die Vorlage von Überlastungsanzeigen nicht von den dienstvertraglichen Sorgfaltspflichten (§§ 276, 278 BGB) entbinden.

Die Sozial-Holding der Stadt Mönchengladbach GmbH, größter Anbieter stationärer Altenpflege in Mönchengladbach, hat nun mit dem Betriebsrat des Unternehmens eine Dienstvereinbarung für Überlastungsanzeigen abgeschlossen. Damit soll erreicht werden, dass die immer stärker belasteten Beschäftigten in der Pflege nicht weiter dem Risiko ausgesetzt bleiben, ungeschützt persönlich für Fehler haftbar gemacht zu werden, die sich fast unausweichlich aus den gesetzlichen und personellen Rahmenbedingungen im Gesundheits- und Pflegesystem ergeben.

In einer Erklärung der Sozial-Holding vom 18.03.2013 heißt es dazu u.a.:

„Während beim Gesetzgeber und den Kostenträgern viel über die Wertschätzung von Pflegenden gesprochen wird, aber nach wie vor zum Beispiel einheitliche Tarife oder vergleichbare Personalanhaltszahlen fehlen, können wir die Beschäftigen nicht weiter im Regen stehen lassen. Uns sind die Beschäftigten so wichtig, dass wir nicht länger auf - wie auch immer geartete - Regelungen und Versprechungen warten konnten und wollten“.
In der Mitteilung der Sozial-Holding heißt es weiter: „Ausgangspunkt der in dieser Vereinbarung getroffenen Regelungen ist das persönliche Gespräch der Beschäftigten mit den unmittelbar Vorgesetzten und die Information über die Belastungs- bzw. Überlastungssituation. Lassen sich in diesem Gespräch keine Lösungen finden, um die Situation für den Betroffenen zu verbessern, kann er mit einem Formblatt, das an die Personalab-teilung, den Betriebsrat und den Arbeitsschutzbeauftragten geleitet wird, formal seine Überlastung dokumentieren und anzeigen. Dann sind Personalabteilung und Betriebsrat verpflichtet, sich innerhalb von 14 Tagen vor Ort mit den geschilderten Problemen zu befassen und nach Lösungen zu suchen.“

Die Betriebsratsvorsitzende der Sozial-Holding dazu: „Uns ist klar, dass die Sozial-Holding unter den gesetzlichen Rahmenbedingungen arbeiten muss, die es nun einmal zur Zeit leider gibt. Nichts desto trotz dürfen wir nicht nachlassen, eine bessere Personalausstattung für die Altenpflege von der Politik und den Kostenträgern zu fordern. Denn auch bei noch so guten betrieblichen Regelungen sind die Arbeitssituationen für die Kol-leginnen und Kollegen bundesweit so nicht mehr akzeptabel.“

Der Geschäftsführer der Sozial-Holding, Helmut Wallrafen-Dreisow, u.a. weiter: „Es ist erschreckend, dass die Überlastungs-Thematik weder im Arbeits- noch im Tarifrecht näher geregelt ist. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Pflegepersonal immer häufiger persönlich von Kassen und Angehörigen persönlich zur Verantwortung gezogen wird. Als Arbeitgeber dürfen wir nicht zulassen, dass die Pflegekräfte vor Ort für die Versäumnisse von Politik und Kostenträgern persönlich zur Verantwortung gezogen werden. Wenn Qualität zu Recht gefordert wird, dann muss auch Tariflohn gezahlt und genügend Personal vorgehalten werden.“

Mit der hier vorgestellten Dienstvereinbarung sind zwar die im Gesundheits- und Pflegesystem maßgeblichen schlechten Rahmenbedingungen nicht etwa korrigiert oder gar verbessert. Aber es ist mit der Vereinbarung den MitarbeiterInnen eine gute Grundlage an die Hand gegeben, sich mit Rücksicht auf die alltägliche Pflegenot gegenüber dem Arbeitgeber zu äußern und damit auch eine haftungsrechtliche Entlastung zu schaffen.

Unabhängig davon bleibt der Gesetzgeber aufgefordert, durch geeignete Re-formmaßnahmen für die seit langer Zeit geforderten systemischen Verbesserungen zu sorgen und dabei insbesondere zu gewährleisten, dass auf Grund von bundeseinheitlichen Personalbemessungssystemen ausreichend Personal zur Versorgung der pflegebedürftigen Menschen bzw. Patienten angestellt werden kann. Damit wäre ein entscheidender Schritt getan, die Arbeitsbelastungen im Pflegedienst von Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern aufzulösen. Mit solchen Reformmaßnahmen müssen natürlich Verbesserungen bei der Vergütung der Pflegekräfte einher gehen.

Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk begrüßt unter den gegebenen Umständen die von der Sozial-Holding Mönchengladbach GmbH ermöglichte Betriebsvereinba-rung für Überlastungsanzeigen sehr und fordert gleichzeitig alle Arbeitgeber im Gesundheits- und Pflegesystem dazu auf, der vorbildlichen Personalpolitik des Mönchengladbacher Unternehmens zu folgen und ebenfalls ähnliche Vereinba-rungen zur haftungsrechtlichen Entlastung der MitarbeiterInnen anzustreben bzw. abzuschließen.

Die vorstehende Pressemitteilung ist zur Veröffentlichung frei
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
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Sabrina Merck
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Überlastungsanzeige in der Pflege und darüber hinaus

Beitrag von Sabrina Merck » 06.04.2013, 11:01

Guten Morgen Forum!
Das Thema "Überlastungsanzeige" wurde bereits wiederholt aufgegriffen, auch hier im Forum. Leider gibt es aber immer noch erhebliche Vorbehalte bezüglich solcher Mitteilungen.
Daher ist die Dienstvereinbarung der Sozial-Holding zu begrüßen und m.E. als Modell bestens geeignet. Es war richtig, mittels einer gesonderten Pressemitteilung auf das Thema aufmerksam zu machen.
Hoffentlich kommt die Botschaft an!
Lb. Grüße Sabrina Merck
Dem Pflegesystem und den pflegebedürftigen Menschen muss mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden! Daher:
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk!
http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de

Bajuware
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Dann schreib ich eine Überlastungsanzeige

Beitrag von Bajuware » 07.04.2013, 16:37

Hallo in den Norden!
Gute Dienstvereinbarung - richtig, dass Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk darauf aufmerksam macht. Danke.
Siehe auch -> „Dann schreib ich eine Überlastungsanzeige …“
Aber bringt mir das auch was?
.... siehe .... http://www.uniklinik-ulm.de/fileadmin/Z ... tig_HG.pdf
Die Rahmenbedingungen des Pflegesystems stimmen nicht (mehr)! Dies gilt es zu beklagen. Pflegebedürftige und Pflegepersonal leiden unter dem System. - Verantwortungsträger sind gefordert!

ProPflege
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Registriert: 29.07.2008, 12:37

Überlastungsanzeigen - zahlreiche Anfragen / Unsicherheiten

Beitrag von ProPflege » 12.04.2013, 07:00

Aus Forum (12.04.2013):
viewtopic.php?t=18774

+++
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk haben mittlerweile zahlreiche Zuschriften erreicht, in denen die hinweisende und klarstellende Pressemitteilung vom 02.04.2013 begrüßt wird. Es wurden auch in einigen Fällen Fragen bezüglich konkreter Einzelsituationen gestellt. Dem Thema "Überlastungsanzeige", das von hier seit Jahren angesprochen wird, kommt offensichtlich eine große Bedeutung zu. Allerdings gibt es weiterhin sehr große Ängste, mit einer innerbetrieblichen Mitteilung doch "gegen Windmühlen" zu kämpfen und sich letztlich nur Ärger einzuhandeln. Dies bestärkt Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk darin, weiterhin den Schwerpunkt darin zu sehen, die Pflege-Rahmenbedingungen zu verändern und vor allem für mehr besser bezahltes Pflegepersonal einzutreten.
+++
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk
Unabhängige und gemeinnützige Initiative
http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/

Nursing-Neuss
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Überlastungsanzeigen - zahlreiche Anfragen / Unsicherheiten

Beitrag von Nursing-Neuss » 25.08.2013, 14:00

ProPflege hat geschrieben: Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk haben mittlerweile zahlreiche Zuschriften erreicht, in denen die hinweisende und klarstellende Pressemitteilung vom 02.04.2013 begrüßt wird. Es wurden auch in einigen Fällen Fragen bezüglich konkreter Einzelsituationen gestellt. Dem Thema "Überlastungsanzeige", das von hier seit Jahren angesprochen wird, kommt offensichtlich eine große Bedeutung zu. Allerdings gibt es weiterhin sehr große Ängste, mit einer innerbetrieblichen Mitteilung doch "gegen Windmühlen" zu kämpfen und sich letztlich nur Ärger einzuhandeln. Dies bestärkt Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk darin, weiterhin den Schwerpunkt darin zu sehen, die Pflege-Rahmenbedingungen zu verändern und vor allem für mehr besser bezahltes Pflegepersonal einzutreten.
+++
Hallo Herr Schell,
ich danke Ihnen herzlich für Ihr Engagement zu Gunsten der Pflegekräfte. Die Arbeitsbedingungen in der Pflege sind, wie Sie immer wieder zutreffend ansprechen, äußerst angespannt und dringend verbesserungsbedürftig. Die meisten Pflegekräfte sehen diese Situation jeden Tag, trauen sich aber nicht, dies "nach oben" klar und deutlich zu beschreiben. Es gibt nicht selten vorgesetzte Dienstkräfte, die entsprechende "Klagen" auch nicht wollen (nach dem Motto: wir ändern ja eh nichts).
Ich wünsche mir daher auch, dass sich bezüglich der Überlastungsanzeigen einiges verbessern lässt. Zumindest müssen die Pflegekräfte damit Gelegenheit bekommen, sich ein wenig "Luft" zu verschaffen, ein stückweit aus der Haftung heraus zu kommen.
Ich danke Ihnen dafür, dass Sie dieses Thema immer wieder ansprechen und damit zeigen, dass Sie die Arbeit der Pflegekräfte richtig einschätzen und sie auch dabei unterstützen.
Liebe Grüße Nursing Neuss
Das Pflegesystem muss grundlegend reformiert werden. U.a. ist deutlich mehr Pflegepersonal erforderlich!

WernerSchell
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Whistleblower-Schutz stärken

Beitrag von WernerSchell » 09.02.2018, 07:59

Große Koalition - CDU und SPD verpassen Whistleblower-Schutz

Nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen fehlt nach wie vor ein gesetzlich verankerter Whistleblower-Schutz im Koalitionsvertrag
Whistleblowing grenzt in Deutschland immer noch an sozialen und wirtschaftlichen Selbstmord. Daher stößt der Koalitionsvertrag bei Whistleblower-Netzwerk e.V. auf Enttäuschung und Unverständnis – denn in keinem Satz lässt sich der politische Wille feststellen, die rechtliche Schieflage gegenüber Hinweisgebern zu verbessern. Bis heute gibt es in hier nur einige wenige Urteile, die die Rechtslage bestimmen. Bei Fehlen eindeutiger Gesetze, an denen Whistleblower sich orientieren können, sind diese nach wie vor mit großer Rechtsunsicherheit konfrontiert. Dies führt dazu, dass Missstände nicht aufgedeckt und die Öffentlichkeit trotz berechtigen Informationsinteresses über diese im Unklaren gelassen wird. Whistleblower Netzwerk e.V. fordert seit über zehn Jahren gesetzlichen Whistleblower-Schutz, da die Gesellschaft mutige Whistleblower braucht, um Missstände aufzudecken und so zu einem transparenten, demokratischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess beizutragen.

„Unsere Whistleblower, unsere Demokratie und unsere Wirtschaft brauchen endlich ein effektives, umfassendes Whistleblowerschutz-Gesetz“, sagt Annegret Falter, Vorsitzende von Whistleblower-Netzwerk e.V.

Seit 2008 wurden dem Bundestag vier Gesetzesentwürfe für einen mehr oder minder zureichenden Whistleblower-Schutz vorgelegt. Damit verbunden waren jeweils Ausschussanhörungen, in denen rund drei Dutzend Experten und Interessengruppen Notwendigkeit und alternative Ausgestaltungsmöglichkeiten eines Gesetzes diskutiert haben – alle fachlichen Fragen sind geklärt. Die SPD selbst hatte 2012 einen guten Gesetzesentwurf erarbeitet, der jedoch mit dem Wechsel der Partei in die Regierung unter den Tisch fiel. Im Koalitionsvertrag für die letzte Legislaturperiode war bereits vereinbart zu prüfen, ob Deutschland seinen Verpflichtungen zum Whistleblower-Schutz aus ratifizierten internationalen Vereinbarungen nachgekommen sei. Diese Prüfung unterblieb – stattdessen stellte der Deutsche Gewerkschaftsbund in einem eigenen Gutachten schwere Versäumnisse fest, die von Whistleblower-Netzwerk e.V. wiederholt angeprangert wurden. Es bleibt unverständlich, warum der politische Wille für ein höheres Schutzniveau für Hinweisgeber selbst im Lichte jüngster Skandale in der Arzneimittelversorgung und in der Autoindustrie unterbleibt.

Whistleblower-Netzwerk e.V. wird sich auch weiterhin für gesetzlichen Whistleblower-Schutz einsetzen und Aufklärungsarbeit über die Bedeutung von Whistleblowing für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Transparenz leisten.
Für Rückfragen: Ali Fahimi, Geschäftsführer Whistleblower-Netzwerk e.V., +4917680862682

Quelle: Pressemitteilung vom 08.02.2018
Whistleblower-Netzwerk e.V.
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10179 Berlin
Tel. 0162 7393651
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