Engpässe bei Pflege durch Angehörige könnten durch bessere Vereinbarkeit mit Beruf verhindert werden

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Engpässe bei Pflege durch Angehörige könnten durch bessere Vereinbarkeit mit Beruf verhindert werden

Beitrag von WernerSchell » 28.11.2020, 07:10

DIW Berlin
Pressemitteilung vom 11. November 2020



Engpässe bei Pflege durch Angehörige könnten durch bessere Vereinbarkeit mit Beruf verhindert werden


DIW-Studie zu Auswirkungen rentenpolitischer Entscheidungen auf Pflege – Es sind vor allem Frauen im Übergang in den Ruhestand, die Angehörige pflegen – Erhöhung des Renteneintrittsalters und Abschaffung der sogenannten Altersrente für Frauen lässt Pflegetätigkeit insgesamt zurückgehen – Höheres Pflegegeld und Lohnersatzleistungen sowie bessere Bedingungen für flexible Arbeitszeitgestaltung könnten Zielkonflikt zwischen Renten- und Pflegepolitik lösen

In Deutschland werden Pflegebedürftige zumeist von Angehörigen oder anderen nahestehenden Menschen zuhause gepflegt, die Hauptlast der Pflege tragen die Frauen. Mit steigendem Renteneintrittsalter drohen Engpässe bei der privaten Pflege, da vor allem Menschen im Übergang in den Ruhestand Angehörige pflegen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), die die Folgen rentenpolitischer Maßnahmen auf das Pflegeangebot beleuchtet.

Die DIW-Ökonomen Björn Fischer und Kai-Uwe Müller aus der Abteilung Staat haben mithilfe von aktuellen Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) untersucht, ob und in welchem Umfang die Frühverrentung einen Einfluss auf die Bereitstellung der sogenannten informellen Pflege hat. Dazu nahmen sie die Altersgrenzen im Rentensystem und die Erhöhung des Renteneintrittsalters durch die Abschaffung der „Altersrente für Frauen“ im Jahr 1999 in den Blick. Diese Reform ließ das effektive Renteneintrittsalter für Frauen ab dem Geburtsjahrgang 1952 von 60 auf 63 Jahre steigen.

„Informelle Pflege ist und bleibt eine entscheidende Säule im Pflegemix in Deutschland. Rund 80 Prozent der Pflegebedürftigen werden unter starker Mithilfe von Angehörigen versorgt.“ Björn Fischer

Lücke zwischen Angebot und Nachfrage informeller Pflege droht auseinanderzuklaffen
Derzeit pflegen in Deutschland rund 4,3 Millionen Menschen kranke und ältere Angehörige und Bekannte. „Informelle Pflege ist und bleibt eine entscheidende Säule im Pflegemix in Deutschland“, erklärt Studienautor Fischer. „Rund 80 Prozent der Pflegebedürftigen werden unter starker Mithilfe von Angehörigen versorgt.“ Auch das Gesetz räumt der informellen Pflege Vorrang gegenüber einer Versorgung durch professionelle Pflegekräfte oder einer stationären Unterbringung ein.

Die Pflegenden sind zu zwei Drittel Frauen und vorrangig unter den 50- bis 70-Jährigen zu finden. Da Pflege in der Regel zeitaufwändig und nicht mit einer Vollzeitbeschäftigung vereinbar ist, reduzieren insbesondere Frauen oft ihre Arbeitszeit oder nutzen Frühverrentungsmöglichkeiten. Damit nehmen sie Einschnitte bei Einkommen und späteren Rentenbezügen in Kauf. Männer engagieren sich der DIW-Studie zufolge deutlich weniger in der Pflege – mit Ausnahme der über 70-jährigen.

Projektionen der Branche deuten darauf hin, dass die Zahl der Pflegebedürftigen bis zum Jahr 2030 auf 3,5 Millionen von 2,6 Millionen im Jahr 2013 ansteigt. Damit dürfte auch die Nachfrage nach informeller Pflege deutlich wachsen. Die DIW-Untersuchung zeigt aber, dass die mit der Rentenreform einhergehende Anhebung des Rentenalters bei Frauen die Pflegetätigkeit reduziert. So ist in der Gruppe der 60- bis 62-jährigen Frauen ein Rückgang um 30 Prozent zu beobachten. Damit dürfte die Schere zwischen Pflegeangebot und -nachfrage weiter auseinandergehen.


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Vereinbarkeit von Beruf und Pflege muss verbessert werden
Ursache des Problems ist den DIW-Forschern zufolge die unzureichende Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. Damit bei weiter steigendem Renteneintrittsalter und wachsender Nachfrage nach informeller Pflege die Lücke in Zukunft nicht noch größer wird, müssen bestehende Instrumente zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege deutlich verbessert werden. Ein Verzicht auf eine Erhöhung des Renteneintrittsalters wäre hingegen nicht der richtige Weg.

„Mittel- und längerfristige Pflege- und Familienzeiten mit Lohnersatzleistungen würden einen wichtigen Beitrag leisten“, empfiehlt Studienautor Müller. „Zudem könnte das Pflegegeld ausgeweitet werden, was pflegende Angehörige zusätzlich entschädigen würde.“ Derzeit liegt es deutlich unter den Sachleistungen, die ambulanten Pflegediensten gezahlt werden. Auch eine flexiblere Arbeitszeitgestaltung wie etwa erleichtertes Home-Office könnten sich als sinnvoll erweisen. „Eine bessere Vereinbarkeit könnte auch mehr Männer zur Pflege Angehöriger animieren“, fügt Ökonom Müller hinzu. „Das wäre nicht nur für die geschlechtergerechte Verteilung von Sorgearbeit nötig, sondern auch, um die Nachfrage überhaupt decken zu können.“


LINKS
Studie im DIW Wochenbericht 46/2020 > https://www.diw.de/de/diw_01.c.803087.d ... oesen.html
Infografik 1 in hoher Auflösung (JPG, 1.6 MB) > https://www.diw.de/sixcms/detail.php?id ... .802838.de
Interview mit Björn Fischer > https://www.diw.de/de/diw_01.c.803089.d ... rview.html


Quelle und weitere Informationen > https://www.diw.de/de/diw_01.c.802867.d ... erden.html


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Diakonie-Zitat:
Pflegende Angehörige müssen besser abgesichert werden

Berlin, den 11. November 2020 - In Deutschland werden fast die Hälfte aller pflegebedürftigen Menschen von Angehörigen zuhause gepflegt - überwiegend von Frauen. Mit steigendem Renteneintrittsalter drohen Engpässe bei der privaten Pflege, da vor allem Menschen im Übergang in den Ruhestand Angehörige pflegen.

Ein Höheres Pflegegeld und Lohnersatzleistungen sowie bessere Bedingungen für flexible Arbeitszeitgestaltung könnten den Zielkonflikt zwischen Renten- und Pflegepolitik lösen. Das ist das Ergebnis einer heute veröffentlichten Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).

Dazu erklärt Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland:
"Diese repräsentative Studie ist eine gute Grundlage, um die Lücken in der Absicherung pflegender Angehöriger zu schließen und die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Pflege zu verbessern. Dreiviertel der pflegenden Angehörigen sind demnach unter 65 Jahre alt. Sie müssen Pflege und Erwerbstätigkeit vereinbaren, wenn sie nicht sogar für die Pflege eines Angehörigen ganz aus dem Beruf ausscheiden. Betroffen sind in der Mehrzahl Frauen. Sie verzichten dabei nicht nur auf Einkommen, sondern auch auf einen Teil ihrer künftigen Rente. Wer in seinem Job bleibt, Arbeitszeit reduziert, um zuhause ein Familienmitglied zu pflegen, braucht eine Perspektive für die eigene Altersversorgung. Die Diakonie Deutschland hält es für notwendig, dass pflegende Angehörige für die Pflege von Angehörigen höhere Rentenansprüche erwerben und zwar auch dann, wenn sie ihre Arbeitszeit nur wenig reduzieren.

Zudem muss die Pflege Angehöriger durch den Ausbau professioneller Pflege weiter gestärkt werden. Darüber hinaus sieht das umfassende Reformkonzept der Diakonie Deutschland vor, dass Angehörige, die zeitweise ihren Beruf für die Pflege Angehöriger ganz aufgeben, Lohnersatzleistungen erhalten und rentenversichert sind. Wer pflegt, darf nicht in Altersarmut geraten. Wer im Job bleibt, sollte Gewissheit haben, dass Angehörige die nötige und gute Pflege bekommen. Die Lücke, die mit der teilweise oder ganzen Aufgabe des eigenen Berufes entsteht, muss geschlossen werden."

Zum Thema veröffentlicht die Diakonie Deutschland in Kürze eine Positionierung für eine verbesserte Alterssicherung pflegender Angehöriger. Bei Interesse wenden Sie sich an pressestelle@diakonie.de

Weitere Informationen:
DIW-Studie "Bessere Vereinbarkeit von Beruf und Pflege kann Zielkonflikt zwischen Renten- und Pflegepolitik lösen:
https://www.diw.de/de/diw_01.c.803087.d ... oesen.html

https://www.diakonie.de/pflegeversicherung

Für Rückfragen und weitere Informationen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

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Quelle: Pressemitteilung vom 12.11.2020
Kathrin Klinkusch, Pressesprecherin
Pressestelle, Zentrum Kommunikation
T +49 30 65211-1780
F +49 30 65211-3780
pressestelle@diakonie.de

Diakonie Deutschland
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Caroline-Michaelis-Str. 1, 10115 Berlin www.diakonie.de
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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