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Mehr als jeder Sechste hat chronische Rückenschmerzen

Verfasst: 11.01.2020, 07:21
von WernerSchell
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Mehr als jeder Sechste hat chronische Rückenschmerzen

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Der Heilmittelbericht 2019 zum Download > https://www.wido.de/fileadmin/Dateien/D ... b_2019.pdf

(17.12.19) Mehr als jeder sechste AOK-Versicherte ist wegen chronischer, unspezifischer Rückenschmerzen in ärztlicher Behandlung. Laut dem aktuellen Heilmittelbericht des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) war mehr als ein Viertel (26,7 Prozent) von den 4,4 Millionen Rückenschmerzpatienten deswegen in den letzten fünf Jahren dauerhaft beim Arzt, Frauen häufiger als Männer. „Die Zahlen zeigen, dass der Rückenschmerz zu Recht als Volkskrankheit bezeichnet wird. Neben der Behandlung durch Ärzte und Physiotherapeuten können Präventionsmaßnahmen gegen Bewegungsmangel und einseitige Belastungen, aber auch gegen Übergewicht helfen“, so Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des WIdO.

Chronische, unspezifische Rückenschmerzen betreffen mehr Frauen als Männer: 2017 waren knapp 2,6 Millionen der 4,4 Millionen AOK-Patienten weiblich. Insgesamt leiden somit rund 20 Prozent aller AOK-versicherten Frauen und fast 15 Prozent der Männer unter chronischen, unspezifischen Rückenschmerzen. Die Rate steigt mit zunehmendem Lebensalter kontinuierlich an und ist in den letzten Jahren vor dem Renteneintritt bei beiden Geschlechtern am höchsten.

Die Behandlung zieht sich teilweise über mehrere Jahre hinweg: Unter den AOK-versicherten Rückenschmerzpatienten des Jahres 2017 waren 65,5 Prozent bereits 2016 in Behandlung und 26,7 Prozent dauerhaft seit 2013.

Frauen nutzen häufiger Physiotherapie
Während Schmerzmittel beiden Geschlechtern in etwa gleich hohem Umfang verordnet werden (Frauen 78,3 Prozent, Männer 76,7 Prozent), zeigen sich bei der Inanspruchnahme von physiotherapeutischen Angeboten klare Geschlechterunterschiede: Bei den Frauen nutzt rund ein Drittel der Patientinnen (33,2 Prozent) eine Physiotherapie, bei den Männern nur ein Viertel (24,6 Prozent); Frauen erhalten die meisten Verordnungen im Alter von 50 bis 54 Jahren (36,8 Prozent), Männer im Alter von 75 bis 79 Jahren (26,7 Prozent)

„Auch wenn Frauen und Männer Physiotherapie sehr unterschiedlich nutzen, sind chronische, unspezifische Rückenschmerzen bei beiden Geschlechtern der häufigste Grund für Krankengymnastik, Massage und Co.“, so Helmut Schröder.

Behandlungsprogramm für Rückenschmerzpatienten
Für Patienten mit chronischen, unspezifischen Rückenschmerzen hat der Gemeinsame Bundesausschuss am 1. Oktober 2019 die Grundlage für sogenannte Disease-Management-Programme (DMP) verabschiedet. Die darin enthaltenen Anforderungen für die Behandlung basieren auf einer Recherche wissenschaftlicher Leitlinien und Studien. Empfohlen werden verschiedene Maßnahmen: Die Basis bildet eine Aktivierung und Lebensstiländerung, die durch individuelle Therapiemaßnahmen wie Krankengymnastik, Entspannungsverfahren, psychotherapeutische und psychosomatische Behandlungen sowie Schmerztherapie mit Arzneimitteln ergänzt werden können. Bei Erfolglosigkeit kann eine teilstationäre oder stationäre multimodale Schmerztherapie eingeleitet werden. „Damit können betroffene Patienten mit chronischen Rückenschmerzen in Zukunft noch bedarfsgerechter unterstützt werden“, so Schröder.

Der Heilmittelbericht 2019
Für den Heilmittelbericht 2019 hat das WIdO die insgesamt rund 42 Millionen Heilmittelleistungen ausgewertet, die 2018 zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet wurden, davon 15,4 Millionen für AOK-Versicherte. Der Heilmittelumsatz erreichte damit insgesamt 7,25 Milliarden Euro. Heilmittel umfassen physiotherapeutische, sprachtherapeutische, ergotherapeutische und podologische Leistungen, die im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung mit den Krankenkassen abgerechnet werden. Für die 5 Millionen AOK-Versicherten, die 2018 eine Heilmittelbehandlung in Anspruch genommen haben, können die Kennzahlen der Versorgung auch mit Patientenbezug dargestellt werden.

Für die Definition von chronischen Rückenschmerzen hat das WIdO die Behandlungen der AOK-Versicherten von 2013 bis 2018 untersucht. Wenn ein AOK-versicherter Patient in mindestens zwei Quartalen eines Jahres wegen unspezifischer Rückenschmerzen bei einem Arzt war, dann arbeitsunfähig geschrieben und/oder auch mit Arzneimitteln oder Physiotherapie versorgt wurde, gehen die Versorgungsforscher des WIdO davon aus, dass hier ein chronischer Rückenschmerzpatient behandelt wird. Unter unspezifischen Rückenschmerzen werden alle Probleme zusammengefasst, die nicht auf Frakturen, Bandscheibenvorfälle, Krebserkrankungen oder Ähnliches zurückzuführen sind.

> Pressemitteilung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) vom 17.12.19 <

Quelle: Pressemitteilung vom 17.12.2019
Herausgeber: AOK-Bundesverband
Webredaktion
Tel.: 030/220 11-200
Fax: 030/220 11-105
mailto:aok-mediendienst@bv.aok.de
https://www.aok-bv.de
Die Pressemitteilung als PDF zum Download > https://aok-bv.de/imperia/md/aokbv/pres ... b_2019.pdf

Placebos verbesserten das Befinden bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen

Verfasst: 04.02.2020, 18:18
von WernerSchell
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Placebos verbesserten das Befinden bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen

Eine Studie der Universitätsmedizin Essen zeigte: Patienten mit chronischen Rückenschmerzen profitieren von einer Therapie mit Placebos. Der Schmerz war gelindert, außerdem fühlten sie sich „fitter“ und weniger depressiv - und das, obwohl die Studienteilnehmer wussten, dass sie Placebos einnahmen! Der schmerzlindernde Effekt der Placebos war in etwa so hoch wie der eines NSAID (nichtsteroidalen Antirheumatikums). „Es lohnt sich, den Placeboeffekt in bestehende Therapiekonzepte einzubinden“, so der DGN-Pressesprecher Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen.

Placebos können in der Schmerztherapie helfen – sogar, wenn die Studienteilnehmer sich darüber im Klaren sind, dass es sich um Placebos handelt – so lässt sich in Kürze das Ergebnis einer Studie des Universitätsklinikums Essen an 127 Patienten mit chronischen Rückenschmerzen zusammenfassen.

Die Patienten, die mindestens 12 Wochen lang unter Rückenschmerzen gelitten hatten, wurden in zwei Gruppen unterteilt. Die eine Gruppe (n=60) erhielt die gleiche Behandlung wie zuvor, die zweite (n=67) erhielt zusätzlich 21 Tage lang zweimal täglich ein Placebo. Vor Studienbeginn war allen Studienteilnehmern ein Video vorgeführt worden, das über den sogenannten Placeboeffekt und die neueste Studienlage zu möglichen positiven Effekten einer offenen Placebogabe informierte. Die Patienten waren also informiert, dass sie eine wirkstofffreie Substanz einnehmen. Den Patienten in der Vergleichsgruppe wurde versichert, dass sie nach Ablauf der Studie ebenfalls eine Placebo-Anwendung erhalten können. Die Gruppen unterschieden sich nicht signifikant in Alter, Geschlecht und Schmerzintensität zum Zeitpunkt des Studieneinschlusses, allerdings war der BMI in der Gruppe, die zusätzlich mit Placebo behandelt wurde, höher (28,18 vs. 25,72).

Die Studie untersuchte zum einen die von den Patienten berichteten Behandlungserfahrungen wie Schmerzlinderung und funktionelle Beeinträchtigung im Alltag („patient reported outcomes“), aber auch objektive Kriterien wie die Beweglichkeit der Wirbelsäule im Hinblick auf Bewegungsausmaß und -geschwindigkeit, die mit Sensoren auf der Wirbelsäule gemessen wurden. Die Schmerzintensität stellte als subjektiver Parameter den primären Endpunkt dar, sekundäre Endpunkte waren die schmerzbedingte Einschränkung, Depression, Angst und Stress, die mittels standardisierter Fragebögen erhoben wurden.

Im Ergebnis zeigte sich, dass die Gruppe, die mit Placebos behandelt worden war, eine signifikant stärkere Abnahme der Schmerzintensität aufwies (p=0,001), sich funktionell weniger eingeschränkt fühlte (p=0,02) und angab, weniger depressiv zu sein (p=0,01). Auch fragten die mit Placebo behandelten Patienten im Trend weniger häufig nach einer Notfallmedikation, also zusätzlichen Schmerzmitteln. Die objektiv erhobenen Parameter waren hingegen zwischen den Gruppen nicht unterschiedlich. Wie aber ist es zu erklären, dass Placebos das subjektive Befinden signifikant verbessern konnten, obwohl den Studienteilnehmern sogar klar war, dass sie Placebos, also völlig wirkstofffreie Kapseln, erhalten hatten?

Dr. Julian Kleine-Borgmann, Erstautor der Studie, und Frau Prof. Ulrike Bingel, die Projektleiterin, führen an, dass die Mechanismen einer offenen Placebo-Anwendung noch nicht hinreichend erforscht sind. Patienten könnten durch das Informationsvideo unbewusste positive Erwartungen im Hinblick auf das Placebo entwickelt haben, obwohl die gemessene Erwartung in der Placebo-Gruppe in keinem signifikanten Zusammenhang mit der Schmerzlinderung stand. Eine weitere Hypothese ist die Umdeutung sogenannter natürlicher Fluktuationen: Es ist bekannt, dass chronische Rückenschmerzen in ihrer Intensität über den Verlauf schwanken. Möglicherweise führen schmerzärmere Phasen dazu, dass positive Erwartungen im Sinne einer „self-fulfilling prophecy“ erfüllt werden, wodurch der Glaube an einen positiven Effekt der Placebos weiter bestärkt wird.

Kleine-Borgmann und Kollegen sind der Überzeugung, dass das therapeutische Potenzial von Placebos weiter untersucht werden sollte – Professor Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen, Pressesprecher der DGN, geht noch einen Schritt weiter: „Es lohnt sich, den Placeboeffekt stärker in bestehende Therapiekonzepte einzubinden. Dazu gehört eine positive Darstellung des zu erwartenden Therapieerfolges.“ Er hebt hervor, dass bei chronischen Schmerzerkrankungen die Psyche eine wichtige Rolle spielt und auf das subjektive Schmerzempfinden Einfluss nehmen kann. „Wenn wir die subjektive Schmerzlast der Patienten – und sei es auch nur bei einem Teil der Patienten – durch ein Aufklärungsvideo und die Ergänzung des Placeboeffektes nennenswert senken können, sollten wir diese Option nutzen. Chronische Schmerzpatienten haben einen enormen Leidensdruck, der sie körperlich und seelisch zermürbt, eine Therapie, die zu einer subjektiven Verbesserung führt, hat Berechtigung – auch wenn wir die dahinterliegenden Mechanismen noch nicht vollständig verstehen.“

[1] Kleine-Borgmann J, Schmidt K, Hellmann A, Bingel U. Effects of open-label placebo on pain, functional disability, and spine mobility in patients with chronic back pain: a randomized controlled trial. Pain 2019; 160 (12): 2891-2897. doi: 10.1097/j.pain.0000000000001683.

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Originalpublikation:
doi: 10.1097/j.pain.0000000000001683

Quelle: Pressemitteilung vom 04.02.2020
Dr. Bettina Albers Pressestelle der DGN
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.
https://idw-online.de/de/news730984