Pflege - Ökonomie kontra Pflegewissenschaft ?

Pflegespezifische Themen; z.B. Delegation, Pflegedokumentation, Pflegefehler und Haftung, Berufsrecht der Pflegeberufe

Moderator: WernerSchell

Gaby Modig
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Pflege - Ökonomie kontra Pflegewissenschaft ?

Beitrag von Gaby Modig » 06.10.2011, 07:19

Pflegedirektor - Kaufmann und Pflegefachkraft

Siehe auch die nachfolgenden Beiträge, die den gesamten Sachverhalt aufhellen und pflegewissenschaftliche Fragestellungen aufwerfen:

Kaufmann als Pflegedirektor der Uniklinik Düsseldorf
Über einen für mich unglaublichen Vorgang berichtete gestern die Rheinische Post in ihrem Lokalteil Düsseldorf:
Danach wurde zum neuen Pflegedirektor der Universitätskliniken ein Diplom-Kaufmann bestellt. Damit wird verdeutlicht, dass die Pflege nicht von einem Fachmann angeführt werden muss, sondern allein kaufmännische Fähigkeiten entscheiden. Dies ist dann ein Beitrag zur kompletten Ökonomisierung der Pflege in der Uniklinik. Und keiner regt sich darüber auf. ....
Pflegesystem verbessern - weg von der Minutenpflege. Mehr Pflegepersonal ist vonnöten!

Lutz Barth
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Aufregen, warum?

Beitrag von Lutz Barth » 06.10.2011, 15:07

Nun - wir sollten ganz allgemein die Entwicklung bei den Gesundheitsberufen etwas gelassener entgegen sehen.
Ich persönlich habe es "aufgegeben", mich über bestimmte Prozesse aufzuregen; die Pseudoakademisierung schreitet voran und es wundert mich nicht, dass auch Pflegedirektoren mittlerweile im Begriff sind, uns an ihren pflegerechtlichen Botschaften nicht nur teilhaben zu lassen, sondern ihre Lehren als verbindliche Rechtsausführungen zu deklarieren. Von daher bin ich mehr als gespannt, wie dann die große Gruppe der Nichtorganisierten reagieren wird, wenn Pflegefunktionäre über das Berufsrecht zu "Gerichte" sitzen und eine Berufsordnung verabschieden, aus denen dann mehr als 1,2 Mio. Beschäftigte ihren "Pflichten" ablesen können, mal abgesehen davon, dass dann eine "Bundespflegekammer" sich sicherlich auch dazu berufen fühlt, auf die "ethischen Pflichten" der Berufsangehörigen zu wachen!
:roll:
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Pflege ist Teil der Ökonomie eines Krankenhauses

Beitrag von Gaby Modig » 07.10.2011, 09:16

Aufregen müsste sich eigentlich der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe. Ihm kann es doch nicht egal sein, ob den Pflegenden einer großen Klinik eine hochgediente Pflegefachkraft oder ein Ökonom vorsteht. Es sind schließlich auch vielerlei pflegerische Frachfragen zu beurteilen.
Mir persönlich ist schon länger klar geworden, dass die Pflege Teil eines Wirtschaftsunternehmens Krankenhaus ist, wo nicht mehr vorrangig nach pflegerischen Erwägungen, sondern allein nach ökonomischen Vor- oder Nachteilen entschieden wird. Wer Teil der Geschäftsführung ist, muss kaufmännisch denken und handeln können.
Dass dies eine gute Entwicklung ist, kann ich natürlich nicht sehen.

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WernerSchell
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Ökonomie statt Pflegequalität? ....

Beitrag von WernerSchell » 11.10.2011, 08:41

Gaby Modig hat geschrieben:Kaufmann als Pflegedirektor der Uniklinik Düsseldorf ....
Der o.a. Vorgang wurde heute in einem Rundschreiben aufgegriffen:

Sehr geehrte Damen und Herren,
am 10.11.2011 werden wir beim Pflegetreff - siehe dazu die Ankündigung bzw. Einladung:
viewtopic.php?t=15693
http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwe ... 102011.pdf
u.a. auch über allerlei Mängel im Pflegesystem zu sprechen haben. Abgesehen von den üblichen Beanstandungen fiel aktuell auf:
Eine Universitätsklinik in NRW bestellt einen Kaufmann zum Pflegedirektor. Man könnte fragen: Ökonomie statt Pflegequalität?
viewtopic.php?t=16452
Dann bietet, wie uns am 10.10.2011 mitgeteilt wurde, eine Pflegeeinrichtung für die Vermittlung von Pflegebedürftigen, möglichst Stufe 3, Werbegeschenke, angefangen von Tankgutscheinen bis zu Traumurlauben, an. Wir haben die Einrichtung heute angeschrieben. Siehe nachfolgenden Text mit dem Betreff „Vermittlung pflegebedürftiger Kunden & Werbegeschenke“. Im Forum finden Sie dazu einen Hinweis unter:
viewtopic.php?p=62038#62038
Mit freundlichen Grüßen
Werner Schell

Brief vom 11.10.2011 betreffend „Vermittlung pflegebedürftiger Kunden & Werbegeschenke“:

Sehr geehrte Damen und Herren,
wir wurden darüber unterrichtet, dass Sie für die Vermittlung von Kunden, die stationäre bzw. ambulante Pflegeleistungen benötigen, nach einem Punktesystem Gegenleistungen in Form von Traumurlauben, Städtereisen, Flachbildschirmen und Tankgutscheinen versprechen. Dabei stellen Sie besonders viele Punkte für die Vermittlung von pflegebedürftigen Menschen mit Pflegestufe 3 in Aussicht. Hoher Pflegebedarf soll dem Werber auch viel Ertrag bringen.
Diese Werbeaktion ist mit den Grundsätzen eines auf menschenwürdige Pflege aufbauenden Pflegesystems unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vereinbar und gehört sofort abgestellt.
Wir fordern Sie hiermit auf, die Aktion sofort zu beenden und dies bis zum 12.10.2011 nach hier zu bestätigen.
Mit freundlichen Grüßen
Werner Schell
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Pflegedirektor der Uniklinik Düsseldorf Pflegefachmann !

Beitrag von WernerSchell » 11.10.2011, 10:15

Wir wurden aufgrund unseres o.a. Rundschreibens darauf aufmerksam gemacht, dass die zugrunde liegende Mitteilung der Rheinischen Post offensichtlich mehr als unvollständig war. Denn der neue Pflegedirektor ist nach der jetzt bekannt gewordenen Pressemitteilung der Uniklinik Düsseldorf auch ausgebildeter Kranken- und Intensivkrankenpfleger. Genau diese Passage der Pressemitteilung hat die Rheinische Post in ihrem Bericht vom 05.10.2011 weggelassen.

Wir stellen hiermit den vollständigen Text der Pressemitteilung vom 30.09.2011 vor:
Torsten Rantzsch, Dipl.-Kfm. und Pflegemanager, hat am 1. Oktober die Pflegedirektion des Universitätsklinikums Düsseldorf übernommen. Torsten Rantzsch ist 43 Jahre alt, war zuletzt Direktor des Pflege- und Funktionsdienstes und Mitglied der Geschäftsleitung des Universitätsklinikums Gießen und Marburg am Standort Gießen. Der Aufsichtsrat des Klinikums hatte die Bestellung von Torsten Rantzsch Anfang Juli entschieden. Der Pflegedirektor ist Mitglied des Vorstandes des Universitätsklinikums Düsseldorf.
Rantzsch wurde am Dienstag, den 4. Oktober begrüßt vom Ärztlichen Direktor Prof. Dr. Wolfgang H.-M. Raab, und dem Kaufmännischen Direktor Dr. Matthias Wokittel. Raab dankte der stellvertretenden Pflegedirektorin Rosemarie Sarge für die Übernahme des Kommissariats. Sie wird nun wieder die Stellvertretung des Pflegedirektors übernehmen.
20 Jahre seines Berufslebens verbrachte Rantzsch in Hamburg am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Der gelernte Kranken- und Intensivkrankenpfleger wurde dort Leitender Krankenpfleger der neurologischen Intensivstation, Direktionsassistent, Personalmanager des Pflege- und Funktionsdienstes und stellvertretender Direktor für Patienten- und Pflegemanagement. Zudem übernahm er die pflegerische Zentrumsleitung des dortigen Transplantations-Centers sowie einer Privatklinik des Hamburger Universitätsklinikums. Im Jahr 2009 wechselte er nach Gießen.
Quelle: Pressemitteilung vom 30.09.2011
Kontakt: Susanne Dopheide, Pressesprecherin, Tel.: 0211 / 81-04173
http://www.uniklinik-duesseldorf.de/deu ... wsNr=13302

Es ist bedauerlich, dass so ein falscher Eindruck entstanden ist und hoffen, hiermit für die notwendige Klarheit gesorgt zu haben.
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Gaby Modig
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RP-Bericht unvollständig

Beitrag von Gaby Modig » 11.10.2011, 10:58

Hallo Herr Schell,
ich danke sehr für Ihren ergänzenden Bericht. Nun stellt sich heraus, dass doch alles in Ordnung ist. Aber, der von mir angesprochene Bericht vom 05.10.2011 war in der Tat unvollständig. Der entscheidende Absatz aus der Uni-Pressemitteilung fehlte. Es fragt sich, warum die RP insoweit nicht klar formuliert hat. Worauf soll man sich denn eigentlich noch verlassen? Muss man jetzt auch schon die Berichte renomierter Zeitungen auf Richtigkeit bzw. Vollständigkeit überprüfen? Ich werde ab sofort noch vorsichtiger in der Beurteilung von Presseberichten sein, egal war informiert hat.
Viele Grüße
Gaby Modig
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Rauel Kombüchen
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Kaufmänisches Agieren und gute Pflege

Beitrag von Rauel Kombüchen » 11.10.2011, 13:31

Interessante Diskussion. Ich habe allerdings grundsätzliche Bedenken, wenn die Pflegedienstleitung in zivilrechtlich organisatierten Einrichtungen Geschäftsführerfunktionen hat. Denn dann muss sie meines Wissens nach entsprechend den Pflichten eines ordentlichen Kaufmanns entscheiden. Ob das dann mit guter Pflege in Übereinstímmung gebracht werden kann, muss bezweifelt werden. So gesehen sind Geschäftsführerfunktionen und Pflegedienstleitung wohl manchmal problematisch. Oder sehe ich das was falsch?

Rauel K.
Pflegeversicherung - Pflegebegriff erneuern und Finanzierung nachhaltig sichern! BürgerInnen müssen mehr Informationen erhalten - z.B. wg. Individualvorsorge!

Rita Reinartz
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Kaufmänisches Agieren und gute Pflege - Fragen !

Beitrag von Rita Reinartz » 12.10.2011, 17:59

Rauel Kombüchen hat geschrieben: .... Ich habe allerdings grundsätzliche Bedenken, wenn die Pflegedienstleitung in zivilrechtlich organisatierten Einrichtungen Geschäftsführerfunktionen hat. Denn dann muss sie meines Wissens nach entsprechend den Pflichten eines ordentlichen Kaufmanns entscheiden. Ob das dann mit guter Pflege in Übereinstímmung gebracht werden kann, muss bezweifelt werden. So gesehen sind Geschäftsführerfunktionen und Pflegedienstleitung wohl manchmal problematisch. Oder sehe ich das was falsch? ...
Hallo Rauel,
das siehst Du nach meiner Auffassung genau richtig. Ich hörte vor einiger Zeit davon, dass eine Pflegedirektorin (PDL) als Teil der Geschäftsführung eines Krankenhauses an der Verteilung der Tantiemen beteiligt wurde. Das heißt, sie wurde für den wirtschaftlichen Erfolg belohnt. Vielleicht war darin auch eingeschlossen die Zustimmung zum Abbau von Pflegekräftestellen zu Gunsten der Ärzte ?
MfG Rita
Menschenwürdegarantie bedarf bei der Umsetzung entsprechender Rahmenbedingungen. Insoweit gibt es aber Optimierungsbedarf!

Lutz Barth
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Spekulationen!

Beitrag von Lutz Barth » 12.10.2011, 19:00

Hoppla,
warum soll eine PdL keine leitende Funktionen wahrnehmen? Wenn diese ihren Job "gut macht", spricht eigentlich auch nichts dagegen, ihr Engagement durch eine Tantiemezahlung zu honorieren.

Im Übrigen ist es ein bedauerlicher Fehlschluss, anzunehmen, dass eine ökonomische Sichtweise einer "guten Pflege" abträglich sei.

Schließlich käme wohl auch keiner auf die Idee, an die berufsethische Seele des tugendhaften und sich an den gutbürgerlichen Idealen orientierende Pflegepersonals den Appell zu richten, im Interesse einer "guten Pflege" auf entsprechende Gehaltsbestandteile zu verzichten oder eine Arbeitszeitverlängerung ohne vollen Lohnausgleich zu akzeptieren.

Ich denke, wir sollten die "Kirche im Dorf lassen", auch wenn ganz allgemein die Pflegenden einer besonderen Wertschätzung bedürfen, die allerdings nun nicht in eine "Seligsprechung" münden sollte.

Auch den Pflegenden ist das "Hemd näher als die Hose", so dass jedenfalls zu irdischen Zeiten eben auf Erden der gerechte Lohn empfangen werden sollte. Sofern also die PdL es versteht, Ökonomie und Pflege miteinander zu harmonisieren, verdient das in erster Linie vollsten Respekt, mal ganz davon abgesehen, dass diese sich der Realität stellen muss und wir leider uns nicht in einem "Wunschkonzert" befinden. :roll:
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Pflege - Ökonomie kontra Pflegewissenschaft ?

Beitrag von Nursing-Neuss » 13.10.2011, 09:56

Klar muss sein, dass im Gesundheits- und Pflegesystem auch wirtschaftlich gearbeitet wird. Daher sind kaufmännische Kenntnisse bei einem ausgebildeten Pflegefachmann sicherlich nicht verkehrt. Allerdings sehe ich die Leitungskräfte in der Pflicht, vorrangig für eine Pflege einzutreten, die den anerkannten Grundsätzen der Pflegewissenschaft entspricht und sich nicht allein ausrichtet, an einem Budget, das hinten und vorne nicht reicht. Das wäre dann ggf. Pflege nach Kassenlage. Da muss im Zweifel intern gerungen und gekämpft werden. Die Pflegedienstleistung muss dabei immer vorrangig die Interessen der Pflege im Blick haben und nicht das kaufmännische Ergebnis. Insoweit sehe ich durchaus Probleme, die diskutiert bzw. hinterfragt gehören.

Nursing Neuss
Das Pflegesystem muss grundlegend reformiert werden. U.a. ist deutlich mehr Pflegepersonal erforderlich!

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Pflege "nach Kassenlage"

Beitrag von Lutz Barth » 13.10.2011, 10:36

Nun - in der Tat wird hier u.a. die PdL einen Spagat zu vollziehen haben und zwar gerade in Kenntnis des Wirtschaftlichkeitsgebots, dass sowohl im SGB V und XI verankert ist. Eine "Vollversorgung" war, ist und wird letztlich nicht angestrebt. Hieran mögen pflegewissenschaftliche Erkenntnisse nichts zu ändern und insofern ist die PdL gut beraten, auch stets die wirtschaftliche Tragweite pflegerischer Rahmenbedingungen im Auge zu behalten. Eine PdL wird schwerlich gute Arbeit leisten können, in dem diese allmorgendlich verkündet: "Wir müssen eine würdevolle Pflege erbringen", mit der dann gleichsam ein Maximalanspruch verbunden wird. Dies kann und wird nicht gelingen, zumal Art. 1 des Grundgesetzes hier nun wahrlich nicht weiter hilft, mag dies auch als unangenehm empfunden werden.
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Pflege - an der Menschenwürde ausgerichtet

Beitrag von Nursing-Neuss » 13.10.2011, 10:48

Lutz Barth hat geschrieben: .... Nun - in der Tat wird hier u.a. die PdL einen Spagat zu vollziehen haben und zwar gerade in Kenntnis des Wirtschaftlichkeitsgebots, dass sowohl im SGB V und XI verankert ist. Eine "Vollversorgung" war, ist und wird letztlich nicht angestrebt. Hieran mögen pflegewissenschaftliche Erkenntnisse nichts zu ändern und insofern ist die PdL gut beraten, auch stets die wirtschaftliche Tragweite pflegerischer Rahmenbedingungen im Auge zu behalten. Eine PdL wird schwerlich gute Arbeit leisten können, in dem diese allmorgendlich verkündet: "Wir müssen eine würdevolle Pflege erbringen", mit der dann gleichsam ein Maximalanspruch verbunden wird. Dies kann und wird nicht gelingen, zumal Art. 1 des Grundgesetzes hier nun wahrlich nicht weiter hilft, mag dies auch als unangenehm empfunden werden.
Hallo,

natürlich muss eine Pflege an den Grundsätzen der Menschenwürde ausgerichtet werden!

Insoweit gibt es doch auch klarstellende Hinweise in den entsprechenden "Leistungsgesetzen". Siehe z.B.:
"Die Pflegeeinrichtungen pflegen, versorgen und betreuen die Pflegebedürftigen, die ihre Leistungen in Anspruch nehmen, entsprechend dem allgemein anerkannten Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse. Inhalt und Organisation der Leistungen haben eine humane und aktivierende Pflege unter Achtung der Menschenwürde zu gewährleisten" (§ 7 SGB XI).
"Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen" (§ 2 SGB V).
Im Übrigen stellt die "Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen" auf die gebotene menschenwürdige Versorgung ab.
Dass dabei Prinzipien der Wirtschaftlichkeit Anwendung finden, geht in Ordnung. Damit kann aber nicht gemeint sein, dass es Abstriche bei den o.a. Versorgungsgrundsätzen geben darf.

Ich denke, das sollte auch noch einmal gesagt werden.

In diesem Sinne grüßt Nursing Neuss
Das Pflegesystem muss grundlegend reformiert werden. U.a. ist deutlich mehr Pflegepersonal erforderlich!

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"Achtung der Menschenwürde"

Beitrag von Lutz Barth » 13.10.2011, 13:00

Mit Verlaub - was folgt denn ganz konkret aus der Inbezugnahme der Menschenwürde? Hier wird eine verfassungsrechtliche Selbstverständlichkeit betont, die zu betonen angesichts der Staatsfundamentalnorm in Art. 1 GG nicht notwendig ist! Die Menschwürde ist unantastbar und sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Auch die Erwähnung in der "Charta" ist durchaus lobenswert, wenngleich die Charta selbst keine Rechtsverbindlichkeit erlangt hat (auch wenn auf diese in einigen Gesetzen verwiesen wird).

Die Leistungsfähigkeit der "Würdeklausel" ist demzufolge für den "Pflegealltag" höchst beschränkt und insofern darf nochmals nachgefragt werden, welche ganz konkrete Folgerungen sich dann hieraus ergeben? Nehmen wir die "Würdeklausel" ernst, denn dürfte es doch wohl in erster Linie keinen "Pflegenotstand" geben oder?

Ein Blick in die verfassungsrechtliche Literatur zeigt denn auch, dass das Argument von der "Würde" vielfach überstrapaziert wird; manche sprechen gar von einer "Sonntagsfloskel" oder einer "Metapher". Die "Würde" als Verfassungsbegriff erscheint so als probater "Problemlöser", so wie gelegentlich das Leitbild so manchen Trägers, dass da beeinhaltet, in einem bsonderen Maße die Würde des zu pflegenden Menschen achten zu wollen.

Eigentlich schön zu lesende Worte, aus denen aber selten etwas Konkretes folgt!
Hierüber kann der Normtext u.a. in § 7 SGB XI nicht hinwegtäuschen.
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Menschenwürde - gesetzlich näher definiert

Beitrag von Nursing-Neuss » 13.10.2011, 17:04

Lutz Barth hat geschrieben: .... Die Leistungsfähigkeit der "Würdeklausel" ist demzufolge für den "Pflegealltag" höchst beschränkt und insofern darf nochmals nachgefragt werden, welche ganz konkrete Folgerungen sich dann hieraus ergeben? Nehmen wir die "Würdeklausel" ernst, denn dürfte es doch wohl in erster Linie keinen "Pflegenotstand" geben oder?
.....
Hallo,
die Würdeklausel, wie sie im GG steht, hilft in der Tat so wenig. Sie muss mit Inhalt gefüllt werden. Für die Pflege ist das eigentlich (theoretisch) in vielfacher Weise geschehen. Wie schon erwähnt, stellen einige Gesetzesvorschriften klar auf die Erbringung von Pflegeverrichtungen ab, die nach pflegewissenschaftlichen Grundsätzen zu erfolgen haben. Richtig ist, dass diesem Gebot widerspricht, dass die Ausgestaltung des Pflegesystems so notleidend ist, dass genau diese Ansprüche, die der Gesetzgeber herausgestellt hat, nicht oder nur ausnahmsweise (da muss dann vieles passen) erfüllt werden können. Deshalb gehört auch die Beseitigung des Pflegenotstandes in den Mittelpunkt von Gesundheits- und Pflegereform. Diese Auffassung wird ja auch hier im Forum und von Pro Pflege ... vielfältig beschrieben.
Es grüßt Nursing Neuss
Das Pflegesystem muss grundlegend reformiert werden. U.a. ist deutlich mehr Pflegepersonal erforderlich!

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"Mit Inhalt füllen"?

Beitrag von Lutz Barth » 14.10.2011, 04:35

die Würdeklausel, wie sie im GG steht, hilft in der Tat so wenig. Sie muss mit Inhalt gefüllt werden. Für die Pflege ist das eigentlich (theoretisch) in vielfacher Weise geschehen.
Nun - das mag durchaus aus der Sicht der Pflege so gesehen werden, wenngleich unter verfassungsethoeretischen und dogmatischen Aspekten betrachtet dieser "Ansatz" vom Grunde her verfehlt ist. Die "Würde" meint einen schlicht existentiellen Bereich, der nicht durch alle wünschenswerten Lebens- resp. Pflegebedingungen beliebig überfrachtet werden kann. Insofern verbleibt es dabei, dass der gebetsmühlenartige Hinweis auf die "würdevolle Pflege" ein eher doch bedenkliches Argument ist, dass nicht selten eben - wie in anderen ethischen Grundsatzdebatten auch - die "Argumentationslosigkeit" der Diskutanten offenbart.

Ohne Frage gehört der "Pflegenotstand" auf die Tagesordnung. Aber mit Verlaub: Nun haben wir schon seit Jahren eine Akademisierung speziell in den Pflegeberufen und es gibt ein "Heer" an Pflegewissenschaftlern und da darf denn schon einmal kritisch nachgefragt werden, womit sich der akademische Nachwuchs eigentlich beschäftigt? In ähnlicher Weise müssen sich die Verbände vorhalten lassen, was denn nun ganz konkret an Maßnahmen notwendig ist? Zugleich wird zu fragen sein, warum sich ein "kollektiver Widerstand" gerade in den Pflegeberufen offensichtlich mit mehr als mäßigem Erfolg organisieren lässt?

Meine These dazu: Es gibt eine kleine handverlesene Schar von "Engeln der zu Pflegenden", die sich auf weiter Flur allein auf einer Mission befinden, während demgegenüber die große Masse - wie jeder andere Arbeitnehmer auch - eher auf erträgliche Arbeitsbedingungen Wert legt, die sich u.a. in vernünftigen Arbeitszeiten und einer angemessenen Entlohnung widerspiegeln. Altruistische Vorstellungen werden zwar üblicherweise mit den "Helferberufen" verbunden, aber das tugendhafte Engagement endet offensichtlich dort, wo der alltägliche Existenzkampf beherrschend ist. Insofern kann der "Pflegenotstand" nur überwunden werden, wenn das Pflegepersonal sich in erster Linie auch dazu bekennt, Arbeitnehmer zu sein die manchmal für ihre Arbeitsbedingungen auch etwas tun müssen. Darauf zu warten, dass sich alles zum Guten wendet, führt erkennbar nicht zu Erfolg. Insofern ist Realitätssinn gefragt und da hilft es wenig, zunächst über eine "würdevolle Pflege" nachzudenken, ohne die fianziellen Möglichkeiten auszuloten, mal ganz davon abgesehen, dass die Pflegenden ein "Mehr" in der Gehaltstüte erwarten. Andere Berufsgruppen gehen mit gutem Beispiel voran, u.a. die Ärzteschaft. Den beruflich Pflegenden, jedenfalls hier im Forum, fallen dazu allerdings nur bissige Kommentare ein, befürchten diese doch eine Bevorzugung der Ärzteschaft, die sich scheinbar ungeniert aus dem gemeinsamen "Topf" bedient. Aber mit Verlaub: Die in einschlägigen Gewerkschaften organisierte Ärzteschaft kann doch nichts dafür, dass die beruflich Pflegenden übers Jammern nicht hinauskommen und es derzeit immer noch nicht verstehen, ihre Interessen wirksam wahrzunehmen. Auch die Pflegenden können sich auf Art. 9 GG berufen und sich entsprechend wirkmächtig organisieren, statt "Kaffeesatz-Leserei" zu betreiben und nach außen hin sich als eine Berufsgruppe zu präsentieren, die sich einem ungeheuren "Leidensdruck"ausgesetzt sieht. Wer Veränderungen will, muss dafür auch etwas investieren; die Entwicklungsgeschichte der Gewerkschaften legt hierüber beredtes Zeugnis ab und auch in den Pflegeberufen gilt die alte Dichotomie von Kapital und Arbeit! Dass die derzeitigen Berufsverbände einen anderen Akzent setzen, ist zwar bedauerlich, sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der wohlmeinende Paternalismus im Ergebnis nicht (!) dazu führen wird, in einem entscheidenden Maße die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verändern, geschweige denn zu verbessern. Dies scheint auch nicht die erste Priorität zu sein, da ja immerhin die Verbände erst unlängst das Engagement der Gewerkschaften lobten, nicht zuletzt auch deswegen, weil die Pflegeberufsverbände ein solch verstärktes Engagement "schon immer" angemahnt haben. Mal ehrlich: Was tun die Verbände eigentlich für die eigene Berufsgruppe ganz konkret (etwa für die Arbeitsbedingungen), sehen wir mal von dem Wunsch nach einer "Zwangsmitgliedschaft" ab?
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