Sturz im Heim - Krankenhausaufnahme nötig / rechtens ?

Pflegespezifische Themen; z.B. Delegation, Pflegedokumentation, Pflegefehler und Haftung, Berufsrecht der Pflegeberufe

Moderator: WernerSchell

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Hansi

Sturz im Heim - Krankenhausaufnahme nötig / rechtens ?

Beitrag von Hansi » 03.07.2011, 17:39

Ich denke, dass folgender Fall Situationen in Pflegeheimen entspricht, die ähnlicher Art und Weise jeden Tag passieren:

In der Nacht stürzte eine Heimbewohnerin aus zunächst ungeklärter Ursache. Mit Rücksicht auf Kopfverletzungen, u.a. eine stark blutende Wunde, wurde der Hausarzt (im Notdienst) informiert. Dieser meinte aber, dass es wohl nicht so schlimm sei und er im Laufe des nächsten Vormittags vorbei kommen werde. Nach einigem Zögern wurde dann aber, um nichts zu versäumen, die Leitstelle des Rettungsdienstes informiert. Der Rettungsdienst kam nach kurzer Zeit und brachte die Dame kurzerhand ins nächste Krankenhaus mit bereiter Aufnahme. Nach einigen Tagen kam die Bewohnerin medizinisch versorgt zurück. Zum Glück war wirklich nichts Schlimmes passiert. Aber die Dame beklagte sich bitterlich darüber, dass man sie mitten in der Nacht ins Krankenhaus hat bringen lassen. Sie sei damit eigentlich nicht einverstanden gewesen. Es müsse, so sagte sie, doch einr Möglichkeit geben, eine nicht lebensbedrohliche Sturzverletzung an Ort und Stelle zu versorgen.

Wie ist die rechtliche Einschätzung?

thorstein
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Beitrag von thorstein » 03.07.2011, 20:54

Was heißt kurzerhand?
War der Hausarzt vor Ort?
Was sollte nicht versäumt werden?

Falls der Hausarzt vor Ort war, die Frau also als Arzt gesehen hat, sind keine weitere Massnahmen durch die Pflegekräfte einzuleiten, schon gar nicht gegen den erklärten Willen der BewohnerIn. Ausser es treten weitere Probleme nach der Arztvisite auf, zum Beispiel Erbrechen nach einer Kopfverletzung.

Es sieht aber anders aus, wenn der Hausarzt nicht vor Ort war, also eine Ferndiagnose gestellt hat. In solchen Fällen habe ich auch schon den Rettungsdienst gerufen.

Interessant wäre ein Blick in die Dokumentation. Wurde dort vermerkt, dass die Dame nicht ins KH wollte und kurzerhand??? eingeliefert wurde?

Lutz Barth
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Hausarzt (Notdienst) vs. Rettungsdienst

Beitrag von Lutz Barth » 04.07.2011, 03:46

Die Sachverhaltsschilderung bedarf zusätzlicher Informationen, abgesehen davon, dass nach den ersten Informationen der Hausarzt (dieser versah wohl den allgemeinen hausärztlichen Notdienst) nicht die Patientin aufgesucht hat und demzufolge nicht vor Ort war.

Grundsätzlich haben daher die Pflegekräfte richtig entschieden, den Rettungsdienst anzurufen, der "kurzerhand" (also wohl nach einer Erstdiagnose "unversehens, "ohne Verzögerung", "in der gebotenen Schnelle" etc.) die Patientin ins Krankenhaus einlieferte.

Hierbei wäre interessant zu erfahren, wie das Gespräch mit der Patientin verlaufen ist. Hat sie bereits vor der Einlieferung ins KH ihre "Wünsche" geäußert? Sofern es sich um eine Verdachtsdiagnose gehandelt hat, musste diese etwa durch weitere diagnostische Maßnahmen abgeklärt werden? Mit anderen Worten: Wurde mit der Bewohnerin ein Gespräch geführt? Hat diese ihren "Unmut" erst nach der Einweisung im Krankenhaus geäußert?

Was soll es bedeuten, wenn die Bewohnerin meint, es sei ja eine nicht "lebensbedrohliche Sturzverletzung" gewesen, die an "Ort und Stelle" hätte versorgt werden müssen?
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Zur ersten Problemorientierung!

Beitrag von Lutz Barth » 04.07.2011, 04:36

Nicht selten kommt es zur Annahme eines „medizinischen Notfalls“ in Alteneinrichtungen. Die Rechtsfragen hierbei sind vielschichtig und die Frage, ob der Arzt zum „Hausbesuch“ verpflichtet ist, wird immer wieder vom Pflegepersonal aufgeworfen. Nachstehend dazu einige Literaturhinweise zur Problemorientierung.

Entscheidend dürfte vor allem sein, ob der hinzugerufene Arzt gleichsam seinen (!) Patienten, den er dauerhaft ärztlich und medizinisch betreut, aufgrund eines Hinweises durch das Pflegepersonal aufsuchen soll. Aufgrund eines gewachsenen Arzt-Patienten-Verhältnisses ergeben sich dann besondere Pflichten für den gerufenen Hausarzt. Dies haben über die Zivilgerichte hinaus insbesondere auch die Berufsgerichte für die Ärzteschaft mehrfach betont.

Im Übrigen besteht nicht unbedingt die regelmäßige Verpflichtung eines Arztes, einen Patienten aufzusuchen. Dies gilt insbesondere in den Fällen, dass der Arzt bisher keinen regelmäßigen Kontakt zum Patienten hatte. Zudem ist zu berücksichtigen, dass in den jeweiligen Kammerbezirken ein ärztlicher Bereitschaftsdienst resp. Notfalldienst eingerichtet ist, der sich im Übrigen von den Aufgaben eines Notarztes strikt zu unterscheiden ist. Gerade der ärztliche Bereitschafts- resp. Notfalldienst soll in den Zeiten, wo ggf. der Hausarzt (z.B. am Wochenende) nicht erreichbar ist, die medizinische Versorgung der Patienten sicherstellen.

Für das Pflegepersonal gilt ferner, dass dies auch in Akutsituationen regelmäßig verpflichtet ist, für anderweitige Hilfe (also Ärztin oder Arzt) Sorge zu tragen.

Vgl. dazu insgesamt weiterführend die nachfolgenden Beiträge

v v. Dirk Schulenburg, Die Besuchspflicht des Arztes

>>> http://www.aekno.de/htmljava/frameset.a ... asp?id=495

v Der ärztliche Notfalldienst, v. Britta Susen, ein Bericht von einem Symposium

>>> http://www.aekno.de/htmljava/frameset.a ... asp?id=741

v In diesem Zusammenhang stehend darf auch auf die diesseitige >>> Urteilsrezension der BGH Entscheidung v. 02.12.97 – Az. VI ZR 386/96 (Der psychiatrische Notfall) pdf. <<< verwiesen werden.

Instruktiv auch:
Werner Schell, Der Arzt muß grundsätzlich Hausbesuche durchführen: Die ambulante Gesundheitsversorgung der Patienten muß auch außerhalb der Sprechstunden gewährleistet sein! >>> http://www.wernerschell.de/Rechtsalmana ... esuche.php <<<; mit weiteren Nachweisen insbesondere aus der älteren Rspr.
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Rob Hüser
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Sturz im Heim - Krankenhausaufnahme nötig / rechtens ?

Beitrag von Rob Hüser » 06.07.2011, 14:45

Hansi hat geschrieben: ... In der Nacht stürzte eine Heimbewohnerin aus zunächst ungeklärter Ursache. Mit Rücksicht auf Kopfverletzungen, u.a. eine stark blutende Wunde, wurde der Hausarzt (im Notdienst) informiert. Dieser meinte aber, dass es wohl nicht so schlimm sei und er im Laufe des nächsten Vormittags vorbei kommen werde. Nach einigem Zögern wurde dann aber, um nichts zu versäumen, die Leitstelle des Rettungsdienstes informiert. ....
Hallo, ich lese den Text so, dass der Hausarzt nicht im Heim erschienen ist. Denn er wollte ja erst im Laufe des Vormittags kommen. Dieses Verhalten deutet eigentlich auf unterlassene Hilfeleistung hin. Auch wenn strafrechtliche Ermittlungen wahrscheinlich nichts bringen, dem Arzt sollte aber aufgezeigt werden, dass es so nicht geht. Die KV oder die ÄK könnte man informieren.
Weil der Hausarzt nicht kam, war es m.E. richtig, die Rettungsdienst zu benachrichtigen.
Leider scheinen solche Vorgänge keinen Seltenheitswert zu haben! Zu Lasten der BewohnerInnen.
MfG Rob
Das Pflegesystem muss dringend zukunftsfest reformiert werden!

Rita Reinartz
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Sturz im Heim - Krankenhausaufnahme nötig / rechtens ?

Beitrag von Rita Reinartz » 07.07.2011, 09:57

Hansi hat geschrieben: Ich denke, dass folgender Fall Situationen in Pflegeheimen entspricht, die ähnlicher Art und Weise jeden Tag passieren:
In der Nacht stürzte eine Heimbewohnerin aus zunächst ungeklärter Ursache. Mit Rücksicht auf Kopfverletzungen, u.a. eine stark blutende Wunde, wurde der Hausarzt (im Notdienst) informiert. Dieser meinte aber, dass es wohl nicht so schlimm sei und er im Laufe des nächsten Vormittags vorbei kommen werde. Nach einigem Zögern wurde dann aber, um nichts zu versäumen, die Leitstelle des Rettungsdienstes informiert. Der Rettungsdienst kam nach kurzer Zeit und brachte die Dame kurzerhand ins nächste Krankenhaus mit bereiter Aufnahme. ....
Hallo Hansi,
ich denke auch, dass solche Situationen öfter vorkommen, als man gemeinhin annimmt. Die ärztliche Versorgung außerhalb der Sprechstundenzeiten funktioniert - ähnlich die Versorgung durch Fachärzte - nur unzureichend. Das wird seit Jahren beschrieben, aber die Verantwortlichen bei den Kassen und in den Parlamenten tun zu wenig, um dem Übelstand zu begegnen.
Ich setze auf die anstehende Pflegereform. Denn offensichtlich soll auch die medizinische Versorgung verbessert werden.
Für die Stellungnahme zur Pflegereform 2011/2012 durch Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk vom 5.07.2011, heute hier im Forum vorgestellt, danke ich herzlich. Das Engagement ist bewunderswert.
MfG Rita
Menschenwürdegarantie bedarf bei der Umsetzung entsprechender Rahmenbedingungen. Insoweit gibt es aber Optimierungsbedarf!

Hansi

Hausbesuchspflicht - unterlassene Hilfeleistung

Beitrag von Hansi » 15.07.2011, 06:45

Liebe Mitglieder im Forum!

Ich kann mich erst heute wieder melden und bedanke mich herzlich für die übermittelten Stellungnahmen.
Ich sehe jetzt klar.

MfG Hansi

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