Demenz / Wachkoma – Folgen für die Seinseigenschaft?

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

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Lutz Barth
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Demenz / Wachkoma – Folgen für die Seinseigenschaft?

Beitrag von Lutz Barth » 02.04.2008, 15:07

Demenz / Wachkoma – Folgen für die Seinseigenschaft?

In der Debatte um die Reichweite und Verbindlichkeit von Patientenverfügungen veranlasst die (Rechts-)Auffassung mancher Juristen von der sog. antizipativen Willenserklärung und damit gleichsam einem Willenskontinuum die Palliativmediziner dazu, aus psychologischer und anthropologischer Sicht diese Auffassung ad absurdum führen zu wollen.

„Gewiss ist, dass einige meiner Persönlichkeitsmerkmale auch das Eintauchen in Koma oder Demenz überdauern werden. Wir sind in dieser Seinsform weder weniger noch mehr; wir sind schlicht anders. Ebenso sicher aber ist auch, dass ein wesentlicher Teil meiner Person gewissermaßen neu „erfunden“ wird, sich neu konstellieren wird. Im Koma und in der Demenz bin ich per definitionem ein Anderer: Ich habe Fähigkeiten und Möglichkeiten verloren – aber ich habe auch andere neu hinzugewonnen. Kann ich heute für diesen Anderen wirklich Verfügungen treffen, in der Hoffnung diesem Anderen morgen damit etwas Gutes zu tun? Hierin liegt eine entscheidende Relativierung aller Aussagen einer Patientenverfügung“, so eindrucksvoll der Palliativmediziner J.-Chr. Student (in, Was nützen vorsorgliche Verfügung für das Lebensende, 2006).

Ein „neues Ich“ sei entstanden und da mag es Sinn machen, auf einen Menschen zu hoffen, der in einem „einfühlsamen Dialog“ mit dem neu entstandenen – gleichsam geborenen – Ich herauszufinden versucht, was diese neue menschliche Identität bedarf.

„Der Respekt vor dieser neuen menschlichen Identität verlangt es, dass ich sie nicht mit den Wünschen der „alten“ menschlichen Identität vergewaltige. Dieser Respekt ist es, der uns Würde gibt – auch und gerade im Koma und auch und gerade in der Demenz“ so Student weiter und es beruhigt zumindest beim ersten Lesen dieser Zeilen, dass eine bestehende Patientenverfügung einzubeziehen sei.

Was dürfen wir von solchen Ansätzen und anthropologischen Visionen halten? Konstituiert sich im Zuge einer dementiellen Veränderung tatsächlich ein „neues Ich“ – eine neue menschliche Identität? Wird dadurch gleichsam der „neu entstandene Mensch vergewaltigt oder entwertet“, wenn und soweit wir dies nicht bei konkreten Vorausverfügungen bedenken und – was freilich besonders bedeutsam ist – folgt hieraus für das Recht im Allgemeinen und dem Verfassungsrecht im Besonderen?

Fragen, die einer dringenden Antwort harren, denn hier wird bei allem gebotenen Respekt vor den gedanklichen Überlegungen des Autors Student die Seinseigenschaft des Menschen dergestalt gespalten, als dass das „alte“ ICH in die Pflicht genommen wird, bereits im Vorfeld eines dementiellen Erkrankungsprozesses auf das ANDERE „Ich“ gebührend Rücksicht zu nehmen, so dass einer patientenautonomen Gestaltung von einem gelungenen Abschied aus dem Leben letztlich dem „ALTEN“ Ich in letzter Konsequenz versperrt bleibt.

Hierzu wird demnächst ein Beitrag erscheinen müssen, um die Irritationen aufzulösen.

Lutz Barth
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