Legen eines Katheters durch die Harnröhre ohne Einwilligung

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

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WernerSchell
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Legen eines Katheters durch die Harnröhre ohne Einwilligung

Beitrag von WernerSchell » 10.11.2007, 11:01

Legen eines Katheters durch die Harnröhre ohne Einwilligung

Schriftwechsel aus Mailingliste (anonymisiert):

Frau NN. schrieb u.a.:
... Bei einem pflegebedürftigen Menschen wurden verschiedene Maßnahmen (z.B. Legen eines Katheters) ohne meine Beteiligung als Rechtlicher Betreuer durchgeführt. - Ist das Legen eines Katheters durch die Harnröhre ohne Einwilligung des Patienten / Rechtlichen Betreuers (strafrechtlich) eine Köperverletzung? Offensichtlich wurde hier eine bloße pflegeerleichternde Maßnahme durchgeführt; ich bin empört! - Wie ist diese Frage zu beantworten und was kann / muss ich gesetzlicher Vertreter veranlassen?. - Anzeige wegen Körperverletzung, da Einwilligung fehlte? ....


Sehr geehrte Frau ....,

Ihre Empörung kann ich gut nachvollziehen. Die beschriebene Situation ist offensichtlich kein Einzelfall. Pflegeerleichternde Maßnahmen sind weit verbreitet. und gehören nicht nur kritisiert - es müssen auch Folgerungen gezogen werden. Natürlich sind die beschriebenen Maßnahmen Eingriffe, die ohne die gehörige Rechtfertigung (Einwilligung, Notstand) als strafrechtlich relevante Körperverletzung einzustufen sind.
Strafanzeigen machen in solchen Fällen m.E. wenig Sinn; im Zweifel wird ein solches Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt. Man darf auch darüber nachdenken, wer sich in solchen Fällen mit welchen Argumenten "Beistand" leistet.
M.E. müssen die nicht indizierten Maßnahmen rückgängig gemacht werden. Dann sollte an die Anregung einer Überprüfung durch den MDK bzw. die Heimaufsicht gedacht werden. Denn der hier geschilderte Sachverhalt ist möglicherweise nur die "Spitze eines Eisbergers! Zu fragen wäre, was noch alles schief läuft. Verdächtig erscheint mir die Anmerkung, dass das Heim seit Jahren mit dem Arzt vetrauensvoll zusammen arbeitet!
Denkbar wären auch: Arzt bei der Ärztekammer anzeigen wegen Verletzung seiner Berufspflichten; Mitteilung an die Krankenkasse, dass die Kosten für die beschriebenen Maßnahmen unnötig waren und zurückgefordert werden (§ 116 SGB X).
Dann sollte gegenüber den Heimverantwortlichen problematisiert werden, dass hier Maßnahmen durchgeführt wurden, die mangels Beachtung des Selbstbestimmungsrechtes offensichtlich als rechtswidrig einzustufen waren. Hat nichtärztliches Personal an solchen Maßnahmen mitgewirkt? Wenn ja, wäre das auch unzulässig, da in solchen Fällen Arbeitnehmer die Mitwirkung verweigern können / müssen (vgl. § 8 BAT). Gibt es klare Kooperationsvereinbarungen zwischen Arzt und Heimträger?

Ich bin an der weiteren Behandlung der Angelegenheit sehr interessiert. Als Vertreter des Pflege-Selbsthilverbandes e.V. werde ich nahezu täglich mit rechtswidrigem Handeln gegenüber hilfe- und pflegebedürftigen Menschen befasst. Es ist daher meine feste Überzeugung, dass die immer wieder beschriebenen Missstände keine Einzelfälle sind und konsequent angeprangert gehören! Hilfe- und pflegebedürftige Menschen brauchen dringend einer Lobby! Wir sind alle gefordert!

Mit freundlichen Grüßen
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Sabrina Merck
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Rechtliche Betreuer nicht immer interessiert?

Beitrag von Sabrina Merck » 05.02.2008, 07:05

Hallo,

die Beantwortung ist rechtlich nachvollziehbar und bedarf insoweit keiner Bekräftigung.
Ich möchte aber ergänzend ausführen, dass es auch vielfach Situationen gibt, wo Rechtliche Betreuer nicht behelligt werden möchten und es gerne akzeptieren, dass Ärzte und Pflegekräfte einfach das tun, was sie für richtig erachten. Es kommt natürlich auch vor, dass Rechtliche Betreuer nicht zu erreichen sind; Kontakt ist nur über einen Anrufbeantworter möglich. Reaktionen kommen dann spät oder auch garnicht.
So gesehen gibt es Pflichtwidrigkeiten "auf allen Ebenen"!!

MfG Sabrina
Dem Pflegesystem und den pflegebedürftigen Menschen muss mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden! Daher:
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Lutz Barth
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Keine voreiligen Schlüsse ziehen!

Beitrag von Lutz Barth » 08.02.2008, 11:23

Der Fall ist für sich genommen nicht ausreichend beschrieben, so dass gewichtige Sachverhaltsinformationen noch zu erheben wären, um eine haftungs- und strafrechtliche Prognoseentscheidung abgeben zu können.

Regelmäßig wird man/frau davon ausgehen können, dass ein ohne die Einwilligung des Patienten vorgenommener ärztlicher Heileingriff als Körperverletzungstatbestand zu qualifizieren ist. Mit dieser Aussage selbst ist aber freilich nur ein Grundtatbestand beschrieben und nach der vorliegenden Sachverhaltsschilderung bedarf es zusätzlicher Informationen hierzu.
Es sei daran erinnert, dass es die Einwilligung des Patienten nicht mit der rechtsgeschäftlichen Willenserklärung identisch ist und demzufolge durchaus der Patient seine Einwilligung erteilen kann, auch wenn und soweit ein Betreuer bestellt ist. Maßgeblich ist insoweit die Reichweite der Betreuerbestellung, denn in der Rechtsprechung gilt es als unbestritten, dass der Betreute durchaus seine Einwilligung mit Blick auf bestimmte Krankheitssituationen erteilen kann, während demgegenüber ihm die Einsichtsfähigkeit für andere notwendige Eingriffe fehlen kann.

Insofern wäre es problematisch, im Vorfeld die Ärztekammer oder den Staatsanwalt einzuschalten, denn in dem Äußern eines konkreten Verdachts könnte zugleich auch der Tatbestand der Beleidigung resp. der Verleumdung verwirklicht werden, wenn der Verdacht sich als haltlos erweist. Vielmehr wäre ein Gespräch mit dem Arzt oder die behandelnde Ärztin notwendig angezeigt, um den Grund für den medizinischen Eingriff zu erfahren, wobei in der Folge weiter klärungsbedürftig ist, wer die konkrete Maßnahme durchgeführt hat.

Mit freundlichen Grüßen.
Lutz Barth

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