Patientenselbstbestimmung missachtet - TV-Tipp für 16.11.06

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

Moderator: WernerSchell

Antworten
Presse
phpBB God
Beiträge: 14256
Registriert: 10.11.2006, 12:44

Patientenselbstbestimmung missachtet - TV-Tipp für 16.11.06

Beitrag von Presse » 16.11.2006, 13:20

Was geht in den Köpfen von Intensivmedizinern vor, die den Abbruch bzw. Verzicht von künstlicher Beatmung und Dialyse bei einem Sterbenden aufgrund seiner vorliegenden Patientenverfügung schlichtweg ablehnen? Die, wenn Angehörigen den Patientenwillen schriftlich vorlegen, selbst die Kenntnisnahme verweigern? Die unbeirrt auf „verbotene Euthanasie“ und „aktive Sterbehilfe“ verweisen? Die jede weitere Kommunikation mit den Angehörigen abbrechen, weil sie das Ansinnen, den Patienten „umbringen zu sollen“, für unzumutbar erklären?

Handelt es sich um verunsicherte Ärzte, die aus Unwissenheit echte Sorge haben, sich eines Tötungsdeliktes strafbar zu machen? Oder nehmen sie die von Vertretern eines strikten Lebensschutzkonzeptes gebetsmühlenartig vorgetragene Position, man sei gegen „jede Form der aktiven Sterbehilfe“ nur dankbar auf? Sind sie selbst Vertreter einer sich zäh haltenden ärztlichen Ideologie, die sich auf den Mythos eines Hippokratischen Eides zurückziehen? Oder sind in diesem Zusammenhang irrige antifaschistische Reflexe der Grund? Haben solche Intensivmediziner am Ende rein fachlich gar keine Ahnung, wie man heute palliativmedizinisch begleitet ein „qualvolles Ersticken“ verlässlich verhindert und ein friedliches, humanes Sterben-Lassen ermöglicht?

Ein wenig Licht in dieses Dunkel vermag das vorliegende Schreiben des Oberarztes Dr. K. der Intensivstation eines Universitätsklinikums bringen. Dr. K. wurde im Namen des auf seiner Station verstorbenen, schwer nierenkranken Patienten Günter Marquardt wegen Missachtung dessen Patientenverfügung angezeigt. Unstrittig ist, dass der Ehefrau Monika Marquardt etwa 10 Tage vor dem Tod ihres bewusstlosen Mannes mitgeteilt wurde, dieser könnte die Intensivstation nicht mehr lebend verlassen. Daraufhin zeigte sie als Bevollmächtigte ihres Mannes die Patientenverfügung vor und erwartete, dass man ihn nun friedlich ohne künstliche Beatmung und ohne weitere Zuführung zur Dialyse sterben lassen würde. Doch nichts dergleichen geschah, vielmehr wurde sie auf der Intensivstation seitdem „geschnitten“, niemand sprach mehr mit ihr. Vor allem diese Behandlung („Wie gehen Sie hier mit der Frau eines Sterbenden um!“ hatte sie einmal ihrer Empörung Luft gemacht) war es wohl, die sie zu dem Schritt der Anzeige motivierte. Und dazu, die Mühen, psychischen Belastungen und Kosten des bis heute andauernden Prozesses auf sich zu nehmen.

Der Fall wird heute (16.11.2006), Donnertag, ab 20.15 in der Sendung des mdr „Ein Fall für Escher“ in Anwesenheit einer Vertreterin des Humanistischen Verbandes, die Frau Marquardt jahrelang begleitet und gestärkt hat, vorgestellt.

Aus dem Brief vom 19.10.2003 des Oberarztes K. als Anhang zu einem Schreiben der ihn vertretenden Rechtsanwaltskanzlei an die ermittelnden Staatsanwaltschaft:

„ ... Für mich ist das Abstellen des Respirators aktive Sterbehilfe. Es entspricht der Hinrichtung mit der Garotte, dem spanischen Würgeeisen, oder dem Erhängen durch langsames Zuziehen des Strickes. Dieser Mensch lebte ja noch. Er hatte noch einen Rest Spontanatmung und er reagierte (zu unserem Kummer, weil wir ihn trotz hochdosierter schmerzlindernder Medikamente nicht schmerzfrei bekamen) noch auf taktile Reize. Vor uns lag ein lebender Mensch, von dem wir wussten, dass er – irgendwann – sterben würde, aber dessen Zeit noch nicht gekommen war. ... Dass mein Vorgesetzter, Herr Prof. .... die gleiche Ansicht vertrat, hat er mit den Worten „wir sind hier doch nicht in Holland“ zum Ausdruck gebracht. Und der Direktor der Klinik für Nephrologie, Prof. ... hat selbst die Beendigung de Dialyse als aktive Sterbehilfe (also Tötung) abgelehnt. ...
Es ist erst siebzig Jahre her ... Dieser Weg endete in Buchenwald und Auschwitz.“ (gezeichnet von Dr. K.)

Das zuständige Landgericht hat die Ärzte in einem Urteil vom 26.10.2004 über die bestehende Rechtslage belehrt:

Es betont ausdrücklich, „dass – entgegen der Ansicht der Beklagten – ggen einen mängelfrei gebildeten Willen eines Patienten eine Behandlung auch dann nicht fortgesetzt werden darf, wenn das Unterlasen der Behandlung akute Lebensgefahr begründet. Die Autonomie eines Patienten ist dessen höchstes Rechtsgut und steht noch über dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Das hat ein Arzt zu wissen, und er hat sich – bei allem Respekt vor seinem Gewissen und seinem Wunsch, zu lindern und zu helfen - daran zu halten. ...“

Der Humanistische Verband geht davon aus, dass es trotzdem weiterhin ebenso unbelehrbare wie arrogante Ärzte geben wird. Diese sollen zumindest damit rechnen müssen, dass sie sich in Zukunft regelmäßig strafrechtlich zu verantworten haben. Dabei sei zwar kaum mit einer Verurteilung zu rechnen. Ziel sei vielmehr, dass die Vorladung beim Staatsanwalt ein Umdenken in ihren Köpfen bewirke, wenn sie sich selbstherrlich über den Patientenwillen hinwegsetzen.
Der Humanistische Verband Deutschlands hat zu diesem Zwecke einen Finanzfond zur rechtsanwaltschaftlichen Unterstützung von Angehörigen aufgelegt, wenn bei ihm verwahrte Patientenverfügungen betroffen sind.

Quelle: PATIENTENVERFUEGUNG NEWSLETTER vom 16.11.2006

valenta
Jr. Member
Beiträge: 67
Registriert: 17.11.2006, 21:39

Reaktion auf Sendung: Gesprächsangebot der Charité

Beitrag von valenta » 18.11.2006, 13:20

Gesprächsangebot aus der Charité

Aus: http://hpd-online.de/node/531

„ ERFURT / BERLIN. Die Nichtbeachtung der Patientenverfügung von Günter Marquardt stand in der gestrigen MDR-Sendung ‚Ein Fall für Escher’ zur Diskussion– exemplarisch für die Situation in Deutschland.
Der Ehefrau Monika Marquardt wurde etwa 10 Tage vor dem Tod ihres schwer nierenkranken und inzwischen bewusstlosen Mannes mitgeteilt, dieser könnte die Intensivstation nicht mehr lebend verlassen. Daraufhin legte sie als Bevollmächtigte ihres Mannes die Patientenverfügung vor ...
Doch nichts (...) geschah, vielmehr wurde sie selbst nun auf der Intensivstation in empörender Art und Weise behandelt ... Sie zeigte den damaligen Oberarzt der Intensivstation, Dr. Krausch, im Namen des auf seiner Station verstorbenen Patienten Günter Marquardt wegen Missachtung dessen Patientenverfügung, an. ...
In einem Fax der Berliner Charité an die Redaktion des MDR vom 15. November 2006 (liegt auch der Redaktion hpd vor) ist zu lesen... `Gern stehen wir für eine Besprechung der heutigen Situation zur Verfügung´. “
Gita Neumann, die Frau Marquardt in diesen schweren Jahren stets begleitete und stärkte, hofft nun auf die Umsetzung dieses Gesprächsangebots. “
---------------------------------------
Gestern im Fernsehen, Videochat: (Ver)erben und Patientenverfügung
“ Premiere in der ARD: Zum ersten Mal gab es gestern einen Videochat. Die Zuschauer hatten nach der Sendung Gelegenheit, eine Stunde mit Peter Escher und zwei Expertinnen ins "Gespräch" zu kommen. Die Resonanz war überwältigend. “
Quelle: http://www.mdr.de/escher/3764866.html

Empfohlene Links:
http://www.mdr.de/escher/3760644.html


:!:

Antworten